Unser Verstand kann uns aus unseren Problemen (Rücksichtslosigkeit, Lüge, Betrug, Eifersucht, Erkrankung, Krieg usw.) nicht grundsätzlich helfen, das sehen wir seit Jahrtausenden. Denn er ist nur ein Werkzeug, und zwar für die Programme, die ihn füttern. Insofern ist er fast ausschließlich das Instrument der Selbstbehauptung. Er hat dadurch entscheidenden Anteil am Leiden in dieser Welt, weil er wie ein Schwamm die Impulse aufsaugt, die er erhält. Und dies sind Ego-Impulse, die er mit seiner Logik intelligent verarbeitet. Je mehr er dieser unbewussten Programmatik folgt, desto weniger Intuition kommt durch. In jeder Problemlage analysiert er fieberhaft und oft intellektuell anspruchsvoll alle irdischen Möglichkeiten, die zur Lösung beitragen könnten. Damit verbleibt er im Reich von Gut und Böse, und wenn dann die Einflüsse der Seele vollends abgeblockt sind, kommen wahre Glanzleistungen der Menschenverachtung zustande. Es sind dann solche intellektuellen Höchstleistungen in Bezug auf Organisation des Holocaust, auf die Konstruktion und die Einsätze von Massenvernichtungswaffen wie Atombomben oder Giftgas, Folterung und Tötungen von Hunderttausenden, unendliche Bürgerkriege und Kriege.

Kommt bei vielen über den Verstand hinaus die Vernunft ins Spiel, fällt die Quote von Gut und Böse, was Erfolge und Misserfolge betrifft, günstiger aus. Aber ohne die Intuition, dass man nur mit dem Herzen gut sieht, verbleibt man dennoch grundsätzlich auf der horizontalen Stufe der Materie und ist letztlich nicht in der Lage, die Probleme grundsätzlich zu lösen. Die Hängepartien in der Klimapolitik zeigen deutlich, wie die egoistischen Impulse von unten daran hindern, durchschlagende Schritte zur Klimarettung einzuschlagen. Das Verabsolutieren der Vernunft ist ebenfalls die Krux der Philosophie, die sie für das grundlegende Werkzeug der Entschlüsselung der Welt hält und die Intuition und damit die Erlösung unterdrückt. Sie bleibt so auf diese Stufe beschränkt und kann damit höchstens sinnvolle Fragen stellen, aber keine Lösungen bieten.

Andererseits ist der Verstand aber auch, wenn er wie der besagte Schwamm nun Impulse der Seele aufsaugt, das unverzichtbare Instrument, diese Impulse über das Studium der Weisheiten und die intelligente Auswertung eigener entsprechender Erfahrungen in die reale Praxis umzusetzen.

Solange der Verstand unkontrolliert und ausschließlich als Entscheidungsautorität missverstanden wird, ohne die Intuition zu Wort kommen zu lassen, sorgt er für das Leiden auf der Welt. Dieser Bio-PC des Menschen, der auf die Eingaben des Users angewiesen ist, nimmt in einem Konflikt, was in der Egowelt der Regelfall ist, das Auge-um-Auge-Prinzip folgsam auf und verarbeitet es logisch effizient zu einer unendlichen Kette von Kriegen, weil die Menschen ihn als Entscheidungsinstanz missverstehen. Er hat die Wahrheit über sich selbst verloren. Sobald er aber erkennt, dass die Seele sich entfaltet, wenn er ruhiggestellt ist, kann er selbst einsichtig dafür sorgen, die Schritte einzuleiten, die man braucht, um zur Gedankenruhigstellung zu kommen, um etwa das System der Meditation zu erlernen.

Logik kennt kein Mitgefühl und das Denken keine Liebe. Der Verstand ist nur ein Wahrnehmungs- und Verknüpfungsinstrument, er ist die Recheneinheit des Users für die Steuerungsprogramme von oben oder unten; diese kommen im Regelfall von unten, vom Ego, wohingegen unsere innere Stimme, unsere Intuition, unser Bauchgefühl, unsere Empathie, – das „Herz“, der Ausdruck der Aktivität unserer Geistseele meist unbewusst bleibt, weil sie übertönt wird.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
(Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz)

Das Instrument für das Erlernen des bewussten abrufbaren Sehens mit dem Herzen ist die Meditation. Ihr erstes Ziel ist, das Gedankentrommelfeuer abzustellen, denn dieses kommt von „unten“ bzw. ist Überlegung vom Verstand, in jedem Fall aber egozentrisch. Es kommt nicht von der Intuition, vom „Herzen“, denn dies wären Gedankenblitze, (Platon: „Ideen“), Einfälle, wobei die Unterscheidung manchmal schwer ist. Das Verständnis, was vom „Herzen“ kommt, verbessert sich erst mit zunehmender Erfahrung. Das zweite Ziel der meditativen Versenkung ist es, die Abwehr der Gedankenattacken aufrechtzuerhalten und so die so erzeugte Leere immer stabiler zu machen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die sehr leise innere Stimme irgendwann hörbar wird. So kann man den direkten Draht zur Seele herstellen. Der kommt in aller Regel erst nach geduldigem Warten, denn die Geistseele will wissen, wie ernst man es wirklich meint. Es folgt dann die Stufe, auf der man in dialogischen Kontakt mit Frage und Antwort gelangt, wenn dem Frager also nach dem „Anklopfen aufgetan“ wird (Mt. 7,7).

Erst dann wird das wahre geistige Verstehen vom Nächsten, also von Freund und eben auch vom Feind möglich. Dann wird die tatsächliche Einheit der Menschen in ihrem Wesenskern deutlich, so wie die Einheit der Finger an einer Hand.
Im Märchen wird der Durchbruch des Verstandes zum Erkennen der Seele symbolisch dargestellt durch den Kuss des Prinzen: Er hat sich mühsam durch die Dornenhecke mit ihren scharfen Dornen zu Dornröschen durchgeschlagen, und durch seinen Kuss (Symbol dafür, dass die Geistseele das Bewusstsein berührt) erwacht auch das Schneewittchen aus seinem Tiefschlaf des rein materiellen Bewusstseins. Auch Homers Odyssee ist nichts anderes als die Beschreibung des gefahrvollen Weges des Verstandes zur Geistseele in Gestalt von Penelope, die ihn dann „erhört.“ Das Pendant in der Hindu-Mythologie sind Rama und Sita.

Der Verstand ist ein unerlässliches Analyseinstrument, führt uns aber in die Irre, wenn wir unsere Angelegenheiten von ihm entscheiden lassen. Er richtet dann Unheil an, weil er fast immer vom Ego gesteuert wird. Er ist mit seiner Hardware, dem Gehirn, ein einzelnes Organ. Solange wir uns ausschließlich nach seiner Logik richten, folgen wir in Wirklichkeit unbewusst dem Säugetier-Programm des Selbsterhalts.

„Es offenbart sich täglich …, dass der verfluchte Geist der Selbstsucht die Hauptrolle spielt bei den meisten Geschehnissen.“
(Edward Burrough)

Da wir versuchen, ausschließlich logisch zu handeln, übersehen wir, dass die Logik so gut wie immer die Logik der Selbsterhaltung ist. Denn gut sieht man nur mit dem Herzen. Es ist logisch, zurückzuschlagen, es ist logisch, die Karriereleiter hochzusteigen, es ist logisch, nicht etwa zu vergeben, sondern Vergeltung zu üben (Auge um Auge), es ist logisch, sich auf seine Logik zu verlassen. Es ist logisch, Verantwortliche für die Übel dieser Welt zu identifizieren wie die Juden, die Flüchtlinge, die Islamisten, die Homosexuellen, die Kommunisten, die Kapitalisten usw. Unter den Nazis gab es unzählige Menschen, die ihre hochintellektuellen Fähigkeiten in den Dienst unfassbarer Gräueltaten gestellt haben. Und das ist heute nicht anders: Waren Eichmann und Himmler oder die Amok-Attentäter und Massenmörder Amri (Berlin) oder Breivik (Oslo) etwa schwachsinnig?

Unser technologisches Niveau steigt immer höher, wovon der größere Teil auf Bequemlichkeit abzielt. Unser Ego kümmert sich dabei nur um sich selbst und fragt nicht oder nicht ehrlich oder nicht konsequent nach der Zukunft unserer Kinder und Enkel. Seit dem Kyoto-Protokoll 1997, das eine jährliche 5%ige Senkung des CO2-Ausstoßes vorsah, ist diese Emission jedes Jahr weltweit dramatisch gestiegen.  Die begrenzte Fähigkeit, die Konsequenzen und damit die Notbremse zu ziehen, liegt an der Dominanz der kurzfristigen Selbsterhaltung, wie das Ego sie versteht: „Nach mir die Sintflut.“  Oder: „Dann wird uns schon etwas einfallen.“ Oder: „Ich unterschreibe kein Klimaschutzabkommen, das unserer Wirtschaft schadet.“ (US-Präsident) In dieser Konsequenz drängt sich die Folgerung auf, dass der Fortschritt – nicht der an Humanität, sondern der an Komfort wie z. B. Smarthomes mit mitdenkenden Kühlschränken – mit der Zunahme an Elend auf der Erde verbunden ist. Der Mensch wird immer rationaler, was bedeutet, dass er auch immer entspiritualisierter wird, und deshalb steigert sich über die vermeintliche Selbsterhaltung der Trend zur Selbstzerstörung.

Indem wir uns dem Verstand ausliefern, übersehen wir den dahinter sitzenden Selbsterhaltungstrieb, der dafür verantwortlich ist, dass wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

Ohne Zweifel sind wir Zeuge großer Fortschritte in Zivilisation und Technologie: Weltraumexpeditionen, mobiles Telefonieren, Sozialgesetzgebung, Mobilität, Menschenrechte, digitale Kommunikation usw. Dabei ignorieren wir die Kleinigkeit, dass der Umgang mit den vom Ego diktierten Bestandteilen dieses Fortschritts unseren Planeten zerstört. Das ist keine Kritik an der Fortschrittsgläubigkeit, sondern an ihrer egozentrierten Ausrichtung.

Indem wir unserem Verstand und seiner Logik folgen, machen wir uns zum Instrument eines Instruments. Deshalb gibt es so viele Diskurse darüber, ob und inwieweit Maschinen mit künstlicher Intelligenz uns irgendwann dominieren könnten. Der Verstand ist eine solche Maschine. Wir, die wir uns primär über unseren Verstand definieren, verkennen, dass wir nicht Rezeptemacher, sondern Rezepteanwender sind. Von Puccini stammt die Aussage: „Ich komponiere nicht. Ich mache das, was meine Seele mir sagt.“ Vergleichbares kommt von Einstein oder Gandhi.
Ein klassisches Beispiel für den direkten Draht zur inneren Führung ist Johanna von Orléans (Jeanne d’Arc), die als Achtzehnjährige mit ihren für den Verstand nicht nachvollziehbaren Entschlüssen, Vorhersagen, und als Heeresführerin (!) mit ihrer militärisch erfolgreichen Führung ihre Bestimmung demonstrierte, und dies bewusst, gehorsam und duldend, d. h. eben nicht um ihre Selbsterhaltung kämpfend. Jeanne ließ niemals zu, dass ihre Heldentaten ihr „selbst“, ihrer Person, zugeschrieben wurden, sondern hat immer klargestellt, dass sie Bote ihrer inneren Führung war. (Es ist zu unterscheiden: Die Stimme, die Johanna hörte, kam von „oben“, der Geistseele, während psychisch Kranke, die ebenfalls Stimmen hören, welche sie ständig zu Untaten oder Selbstverletzungen anstiften wollen, von unten kommen.)

Zur Verbindung mit ihrer inneren Führung, die alle Mystiker anstreben, sagen einige großen Geister Folgendes aus:

„Jesus verkündete eine große Wahrheit: „Nicht ich, sondern der Vater, der in mir wohnt, der tut die Werke.“ Als er dies sagte, und wenn ich mich bei meiner Arbeit in meiner größten Schaffenskraft fühle, spüre ich, dass eine höhere Macht durch mich wirkt.“ (Ludwig van Beethoven)    
(Abell, Arthur M.: Gespräche mit berühmten Komponisten. Kleinjörl bei Flensburg 1962)

Ähnliches wird überliefert von Thomas Alva Edisons Inspiration (Glühbirne), von Niels Bohr (Atommodell) oder von Goethe. Helen Schucman hat die drei Bände „Kurs in Wundern“ nicht im üblichen Sinn eines Autors verfasst, sondern sie als Protokollführerin nach dem direkten Diktat ihrer inneren Stimme niedergeschrieben.
Aber diese Verständigung kennt im Prinzip jeder mit spiritueller Erfahrung; er erhält während der Meditation Impulse von innen: Geistesblitze, Warnungen, Hinweise, Erklärungen usw. Weil es auf Fragen im Regelfall auch Antworten gibt, meist in Ja-Form durch tiefes Einatmen, kann man in gewisser Weise auch von Zwiegespräch reden, obwohl die geistige Seite die antwortende ist. Dieser Kontakt ist ein klassisches Beispiel für die johanneische Weisheit „Das Wort ward Fleisch.“ Aktuell äußern sich prominente Kulturschaffende diesbezüglich wie folgt:

„Jeder, der halbwegs schöpferisch arbeitet, macht ja die Erfahrung, dass da etwas wirkt, das willensstärker ist als er selbst. … Die wirklich guten Textstellen kann man sich nicht ausdenken, die kommen, die sind plötzlich da. … Meine besten Texte waren immer noch weiser als ich.“ (SPIEGEL 18/2018)  

Keith Richards hat die Melodie von „I can’t get no satisfaction“ beim Hochfahren aus dem Schlaf in einer Mainacht des Jahres 1965 empfangen. Dave Steward (Eurythmics) berichtet, dass „seine“ Melodie zu Sweet Dreams „wie aus dem Nichts“ zu ihm kam. Paul McCartney bekundet, dass er die Melodie zu „Yesterday“ im Traum hörte. Paul Simon berichtet über die Entstehung seines Ausnahme-Hits „Bridge over troubled water“:

„Ich habe keine Ahnung, woher es kam, es kam einfach. In der einen Minute war noch nichts da, und in der nächsten Minute war die ganze Zeile da. …  So unvermittelt kam es. Ich erinnere mich, es war besser, als ich es sonst immer schrieb.“         
(nytimes.com/…/Upfront: PaulSimon/Oct.27,2010)           

Aber man muss nicht Ludwig Van oder Keith Richards sein, um die ungeheure Vielfalt und Macht des inneren Ideengebers zu empfangen, denn die Menschen erfahren sie so gut wie jeden Tag, nur verstehen sie sie nicht als solche.

Woher wissen diese Genies, dass ihre Eingebungen nicht aus ihrem Verstand kommen? Im Grunde kennt das jeder. Es gibt Erfahrungen in unserem Leben, bei denen man sofort merkt, dass sie nie und nimmer Produkte unseres Verstandes gewesen sein können, weil sie völlig außerhalb unseres Speichers, unserer Vorerfahrungen und unseres Horizonts zur Problemlösung liegen. Das hat auch einer der weltweit größten Erfinder u. a. des Fischer-Dübels Artur Fischer deutlich gesehen, als er in einem Interview auf „seine“ über 1000 Patentanmeldungen angesprochen wurde und antwortete, dass das Erfinden von der Seele komme.

„Man soll das machen, was einem gerade einfällt und was man braucht. Das Erfinden geht durch die Seele. … Wir sind ein Teil der Schöpfung, deswegen können wir mit ihr umgehen und … schöpferisch sein. Aus.“

Leibniz sagte über sich:        
„Beim Erwachen hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, um sie niederzuschreiben.“

Der Mittelstürmer Harry Kane sagt über seine unzähligen Torerfolge aus: „Meine Gedanken schalten komplett aus. Dann das Tor. Wie das passiert. Ich weiß es nicht!“

Einstein hat wie gesagt die Relativitätstheorie nicht erfunden, sondern sie wurde ihm gegeben. Er hat diese Idee empfangen, und sein Anteil war dann, aufgrund seiner angeborenen Begabung und seines Studiums der Physik dieses Konzept umzusetzen, ihm Form zu geben.

Die grundlegenden physikalischen und biologischen Prinzipien unseres Universums wie Schwerkraft, Osmose, Magnetismus, Elektrodynamik, Relativität usw. waren schon da, bevor wir auf der Bildfläche erschienen, aber das Ego will sich nicht mit der Anwenderebene zufriedengeben, sondern strebt auf die Prinzipienebene, es will Leben machen. Frankenstein lässt grüßen.

Unsere scheinbare Schöpferkraft, im Guten wie im Bösen, ist nicht genuin Produkt unseres Denkens. Unsere Einfallskraft, Rocksongs zu komponieren, uns Foltermethoden auszudenken oder Brücken über hohe Schluchten zu bauen, ist nicht unsere. Sie besteht aus Eingebungen von unten oder von oben, vom Ego der Triebseele oder von der Geistseele.

Goethe hat schon im „Zauberlehrling“ erahnt, wohin es führt, wenn der Versuch, sich eigenmächtig, abgetrennt von der Weisheit („Herz“) und nur dem Ego-Willen folgend, scheitert, weil das Ego den Code zur Rückkehr „vergessen“ hat. Dann haben Ego, also Wille, und Logik triumphiert und zu Kontrollverlust und fürchterlichen Konsequenzen geführt. Das können atomare, biologische oder chemische sein, aber auch Dürre-, Wirbelsturm- oder Katastrophen. In jedem Fall strebt der Lehrling nicht nur Ebenbildlichkeit, sondern Gleichheit mit dem „Meister“ an.

Der Regisseur Stanley Kubrick hat das Thema „Verabsolutierung des Verstandes“ in „2001 – Odyssee im Weltraum“ aufgearbeitet: Fünf Astronauten sind im All zum Planeten Jupiter unterwegs. Sie leiten die Mission, während der Universalcomputer HAL-9000 sämtliche Abläufe der Überwachung, Wartung und Versorgung übernimmt. Eines Tages meldet er irrtümlich einen Fehler, der die Crew an seiner Zuverlässigkeit zweifeln lässt; sie erwägen deshalb seine teilweise Abschaltung. Diese Zweifel an seiner selbst bezeugten Vollkommenheit bekommt der Computer mit. Aber in seiner Programmierung ist keinerlei Selbsterkenntnis bzw. Selbstkritik enthalten. Außerdem ist er programmiert auf das unbedingte Erreichen des Expeditionsziels unter allen Umständen. Da er die zentrale Schaltstelle zur Koordination aller Entscheidungen ist, sagt ihm seine Logik, dass die Astronauten, die Teile von ihm auf „manuell“ umschalten wollen, dieses Ziel verhindern. Er beginnt aufgrund seiner Programmierung den Erhalt (!) seines Status und die Weiterführung der Mission abzusichern, indem er – analytisch und logisch handelnd – deshalb einen Astronauten nach dem anderen umbringt.  
HAL ist ein bestens geeignetes Sinnbild, die Logik unseres Verstandes zu hinterfragen. Denn er tut ebenso rational (!) alles, um seinen Selbsterhalt sicherzustellen und zerstört damit sämtliche Lebensgrundlagen unseres Planeten – und sich selbst. Das logische Verhalten von HAL symbolisiert, wie unser Verstand mit unserer Umgebung umgeht. Wie ein pandemischer Virus kann er sich nicht mäßigend verhalten.

HAL9000.svg Creative Commons Reconocimiento 3.0. Wikipedia Commons.
Autor: Cryteria. https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en 

Die Tätigkeiten des Verstandes bleiben  erst mal beschränkt auf den Umgang mit dem Sichtbaren. Er kann von sich aus keinen Sinn stiften, sondern ist immer nur Werkzeug für unsere Impulse von oben oder unten, für selbstloses Helfen oder egoistische Taten auf Kosten anderer. Er kennt die Wahrheit über sich nicht.

Eins seiner zentralen Merkmale ist, zwischen gut und schlecht zu unterscheiden, also zu bewerten. Das ist die DNA des Ego, das die konstruktive Funktion des Bösen nicht kennt, die Mephisto im Studierzimmer (Faust I) offen ausspricht: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und [so] das Gute schafft.“ (Siehe Kapitel 13: Wozu das Böse?) Das Ego kann sich aufgrund seiner Alltagserfahrungen nicht vorstellen, in einer Dimension des Nur-Guten leben zu können. Solange wir keinen Bezug zur Intuition haben, verlassen wir uns auf den Verstand, und er führt uns regelmäßig mal in den Erfolg, mal in den Misserfolg, also immer weiter in die Welt von Gut und Schlecht und damit immer weiter weg von einer Lebensführung unter dem geistigen Schirm. Damit hat Mephisto seinen Job erledigt, uns ins materielle Abseits zu locken. Massenmedial ist regelmäßig zu beobachten, wie in Quizsendungen die Kandidaten bei Fragen, bei deren Lösungsmöglichkeiten sie unschlüssig sind, scheitern, wenn sie versuchten, mit Logik zu antworten. Wenn sie falsch gewählt haben, ärgern sie sich, weil sie das Prinzip, dass „der erste Gedanke der richtige“ ist (nämlich der von oben) missachtet haben, weil sie eben mehr der Logik vertrauten.

Der Steuerungsinstanz „Intuition“, umgangssprachlich „Bauchgefühl“ genannt, spielt im Leben eine Rolle im Abseits, allzu oft bei Männern. Da uns unsere eigentlichen Steuerungsinstanzen Triebseele und Geistseele im Hintergrund nicht bewusst sind, sehen wir in unserem Verstand unseren Herrn. Aber wenn er zur bestimmenden Instanz unseres Lebens gehalten wird, wird er zum Werkzeug der Selbstvernichtung, weil wir nicht erkennen, dass es seinerseits dominiert wird, fast immer vom Selbsterhaltungsinstinkt.

Die Relativierung der Verstandeskräfte – im Gegensatz zu HAL-9000 – zeigt der Film „Forrest Gump.“ Der IQ-minderbemittelte Held verfügt weder über die Fähigkeit des analytischen und synthetischen Denkens noch über die des logischen Differenzierens. Dennoch vollbringt er erstaunliche Heldentaten im Vietnamkrieg, im Sport, im Geschäftsleben usw. Er holt unter Lebensgefahr Kameraden unter Artilleriebeschuss aus dem Feuer, weil er verstandesgemäß dessen Gefahr nicht richtig erkennt und deswegen keine hemmende Angst zeigt. Er weiß, dass er ein Mensch mit einer ungewöhnlich geringen Intelligenz ist und entwickelt trotzdem kein (!) Mangelbewusstsein, weil er akzeptiert und hinnimmt, also nicht hadert und nicht Widerstand leistet, wohingegen der Verstand gegen alles kämpft (siehe HAL), was ihm gegen sein Selbstverständnis geht. Der Verstand steht der gewaltigen Wahrheit „Widerstrebet dem Übel nicht!“ verständnislos gegenüber. Gump spielt Tischtennis auf höchstem Leistungsniveau ohne die geringste Spielintelligenz, ohne technisch-taktische Einmischungen des Verstandes, also nur also aus dem Bauch heraus. Ihm bedeutet Reichtum nichts, weil er dessen Bedeutung nicht ermessen kann, er häuft demzufolge auch nichts auf. Er redet und verhält sich naiv wie ein Kind, das keine Hintergedanken kennt. Er nimmt eben alle Wechselfälle des Lebens hin, so wie sie sich ereignen. Es spielt für ihn keine Rolle, warum seine Jugendfreundin erst nach langer Zeit zu ihm zurückkommt,d. h. er eifersüchtelt und wertet nicht, er teilt also nicht egoistisch ein in gut und schlecht – für ihn. Was die Mind-Funktionen wie fürchten, hoffen, hassen, verurteilen, sich sorgen, usw. betrifft, so tut Forrest Gump all dies nicht. Die Funktionen des analytischen Denkens werden durch die Dominanz der Seelenkraft verdrängt. Der Terror des Selbsterhaltungstriebes mit seinen ängstlichen und wütenden Gedanken wird dadurch dezimiert. Ein Reagieren auf Vorwürfe als typische Aktivität des Verstandes – eigentlich des dahinterstehenden Ego – sind ihm fremd, was z. B. das Verhalten seiner Freundin ihm gegenüber betrifft. Er läuft spontan einen weiten Weg ohne Ziel. Er folgt keinem eigenen Ego-Willen. Dadurch wird das Wollen als grundlegendes Merkmal des Ego angedeutet, welches das Gegenteil von „Dein Wille geschehe“ ist. Der Eigenwille, also das Streben nach Überwindung der Differenz zum selbst gesetzten Ziel, ist ein anderes Wort für Ego.

Die Kastanie lebt und entfaltet sich ohne eigenen Willen, sie tut alles, was getan werden muss und entscheidet nicht selbst. Sie handelt nach dem Prinzip „Dein Wille geschehe.“ Da der Mensch zwei Programme hat, ist er gezwungen, sich ständig zwischen tierischem Willen und spirituellem zu entscheiden. Ich habe meine Bestimmung nur dann erfüllt, wenn ich will, dass nicht mehr ich will, sondern das Wollen meiner Seele überlasse. Dann erst lebe ich das Prinzip „Dein Wille geschehe!“

Forrest Gump ist eine moderne Fassung der Dummling-Märchen. In diesen Vorläufern und Motivgebern (hier der Brüder Grimm) wird die Überwindung der Logik durch die Seelenkraft in den Geschichten mit dem Dummling dargestellt: „Die goldene Gans“, „Die drei Federn“, „Der Vogel Greif“, „Die Bienenkönigin.“  In ihnen ist der Tölpel, der im Gegensatz zu seinen Brüdern, die selbstisch logisch und berechnend agieren, seinerseits kontrastiv ausgestattet mit mitmenschlichen Qualitäten. Er ist barmherzig, ehrlich, hat ein gutes Herz (!), küsst die äußerlich abstoßende Kröte (!) und beschützt und rettet vor menschlichen Bedrohungen. Es geht in den Märchen mit dem Dummling immer um das Erreichen des „Reiches Gottes“, also des spirituellen Bewusstseins (siehe Kapitel 22). Der Film „Matrix“ nennt es „Zion.“ Diesen und anderen Quellen gemeinsam ist, dass sie damit eine bessere – zuerst individuelle – Welt meinen, die geistig gesteuert ist.

Wenn wir den Verstand sich selbstständig machen lassen, kann daraus nur Unheil entstehen. Der Zustand unseres Planeten belegt das eindrucksvoll. Ein spiritueller Mensch, der den Verstand angemessen einordnet, weil er als erstes auf die Interaktion mit der Geistseele setzt und den Verstand als deren Werkzeug einsetzt, knebelt den Einfluss der Triebseele und führt ein erfülltes Leben. 

„Verlasse dich nicht auf deinen Verstand,
gedenke an Ihn auf all deinen Wegen.“ (Sprüche 3,5)

Viele Menschen können das nachvollziehen, wenn sie ihr Handeln an ihrem Bauchgefühl orientieren. Es sind überwiegend Frauen, die diese Nähe zur Intuition haben. Der äußere Mensch kann mit seinem Verstand nichts erfinden oder kreieren, sondern nur einen Ein-fall oder eine Ein-geb-ung umsetzen. Dabei kann er meist nicht unterscheiden, ob die Eingebung von unten oder oben kommt. Die fürs Ego skandalöse, aber angebrachte Analogie zwischen dem Verstand und dem Computer bildet seine Möglichkeiten und Grenzen ab. Die großartigen Ergebnisse, die menschliches Handeln erzeugen kann, sind – wie beim PC – Verarbeitungen des Verstands aufgrund von Einfällen, von Ideen. Diese steuern den Prozessor und dieser produziert mit Wissen (im Speicher) und seinen Verknüpfungsfähigkeiten wichtige und leistungsfähige Modelle, Entwicklungen, Prozesse, Simulationen, Berechnungen usw.

Die Abhängigkeit des Computers von seinem Programmierer und dann von der Entscheidung des Users entspricht der des Menschen von den Eingaben durch Erziehung, Ausbildung, den öffentlichen Meinungen, Berufserfahrung usw. und von den „Programmierern“ – Geistseele oder Triebseele.  Symbolisch sind diese beiden Instanzen des menschlichen Lebens abgebildet in der Schöpfungsgeschichte durch die beiden Bäume des Paradieses. (Die Theologie setzt sich u. a. mit solchen Titeln auseinander wie z. B. „Herr, bist du es?“ ) Je nach Entscheidung produziert der Verstand dann Leistungen im Guten wie im Bösen, von industrialisiertem Massenmord bis zur Mondlandung.

Da die Quellen der Eingaben zwei voneinander verschiedene sind, also von „oben“ bzw. von „unten“ – in der Sprache der Weisheitsschriften „gut“ und „böse“ – produziert der menschliche Verstand folgerichtig neben der segensreichen Variante sofort auch die mörderische: Dem Messer zum Brotschneiden folgt sogleich seine Verwendung zum Erstechen, aus der Energiegewinnung durch Kernspaltung macht er automatisch auch die Bomben zur Massenvernichtung, die Finanzalgorithmen verwendet er nicht nur zur Kreditvergabe als Wirtschaftsförderung, sondern auch zur betrügerischen Profitmaximierung von Spekulanten wie etwa Cum-Ex. Es ist für den äußeren Menschen außerordentlich kränkend, dass sein Verstand auf eine Vollstreckerfunktion reduziert wird. Da er nicht hinter die Oberfläche der Person (lat. Herkunft des Wortes: „Maske“) schauen will, schreibt er sich selbst, seiner Person die Errungenschaften und Siege zu, anstatt dahinter zu blicken und auf die innere polare Lenkung zu stoßen. „Schau, was für ein hervorragendes Brot ich gebacken habe, sagt der Herd zum Bäcker.“

Tiere hoffen nicht, hassen nicht, foltern nicht, quälen nicht, verurteilen nicht, sorgen sich nicht. All dies sind Funktionen des vom Ego-Selbsterhalt dominierten aggressiv-ängstlichen menschlichen Verstandes. Er gehorcht dem Teil des Selbsterhaltungsprogramms, das in jedem „Du“ Gefahr sieht. Er kommt zum Schluss, dass das Böse die Person sei, nicht etwa deren Selbsterhaltungsprogramm. Diese Steuerung der anderen Person wie auch seine eigene erkennt er nicht. Denn das Ego verhindert, die Steuerung dahinter zu erkennen. Das Kain-Prinzip, dass das menschliche Zusammenleben auf Existenzangst und Wut gegründet ist, um das Überleben zu sichern, stellt Kubrick in „2001“ in der Anfangssequenz dar:

Eine Horde Frühmenschen lebt in einer Höhle, in deren Nähe sich ein Wasserloch befindet. Durch unbewusste Inspiration erhalten die Menschen einen Impuls, der sie zum Denken führt. Daraus entwickelt sich eines Tages, dass sie beginnen, herumliegende Knochen als Werkzeug zu benutzen. Als eines Tages eine andere Horde auftaucht, die auch an das Wasser will, entwickelt sich ein Streit. Die Ankömmlinge wollen an die Quelle, die anderen sie verteidigen. Es erfolgt der nächste Schritt des vom Selbsterhalt gesteuerten Denkens, das Instrument Knochen als Waffe einzusetzen, um den Besitzstand nicht zu verlieren. Der Anführer der Höhlenbewohner erschlägt im Zweikampf den Konkurrenten.

Gott mit dem Denken des Verstandes erreichen zu wollen, hat noch nie funktioniert, sonst hätte die unendliche Zahl der Predigten in der Vergangenheit irgendetwas Qualitatives an der „dünnen Zivilisationsschicht“ geändert. Nachdenken über Gott bringt keine Erkenntnis, auch wenn es die Theologen nicht wahrhaben wollen. Alles, was sie über Gott aussagen, was er sein Wille ist, was er tut, was er ist, wissen sie überhaupt nicht, können sie nicht wissen, es sind alles nur Annahmen. Sie reden über Gott, eigentlich nur über ihre eigene Auffassung von Gott, weil sie keine individuelle Erfahrung mit Gott haben – weder über das Ego noch über die innere Führung, Eingebungen, den „Vater in mir.“ Es handelt sich um individuelles Erleben und ist einem wissenschaftlichen Laborexperiment nicht zugänglich. Wer hundert Bücher über Tennis gelesen hat, kann noch lange nicht Tennis spielen. Wer hundert Bücher über Honig gelesen hat, weiß noch lange nicht, wie Honig schmeckt. Die Bibel enthält demzufolge Aufforderungen für eigene Erfahrungen. Man kann aber den Verstand nutzen, indem man sich Wissen über die Meditation aneignet, die zur Öffnung des Kanals zur Geistseele führt.

Der Verstand formt Vorstellungen von dem, was wir sehen: Er sieht eine Zahl von Kriegsflüchtlingen im Fernsehen und drechselt daraus ein Bedrohungsszenario, ohne je einem Flüchtling begegnet zu sein. Nur der Verstand kann antisemitische Überzeugungen erzeugen, ohne je mit jüdischen Männern oder Frauen in Kontakt gewesen zu sein.

„Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie angeschaut haben.“
(Alexander von Humboldt)

Der Verstand will Probleme anpacken – auf der irdischen Stufe – und nicht etwa die Seele konsultieren, was er machen soll und ob er überhaupt etwas machen soll. Jesus hat sich um keins der politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Probleme seines Volkes gekümmert; er hat weder die Benachteiligung der Frau thematisiert noch die Ursachen für Hunger oder Krankheit bekämpft. Auch hat er nicht auf das Joch der römischen Besatzung reagiert. Um die Menge zu speisen, hat er nur „nach oben geschaut.“ Auch den Lahmen hat nicht er geheilt. Er hat ihm nur mitgeteilt, dass dessen Bewusstsein innerer Potenz geheilt hat (siehe Kapitel 22).

Der Verstand braucht Eingaben bzw. Ein-geb-ungen wie der PC. Er ist weder gut noch böse. Er ist wie ein Hammer, mit dem man Nägel einschlagen kann, aber auch Schädel. Böse ist das Werkzeug nicht, es hängt von der Steuerung ab, vom Programm. Insofern kommt es auf mein Bewusstsein an. Das entscheidende Element, das den Menschen vom Tier unterscheidet, ist, dass er zwei Programme hat und zwischen ihnen wählen kann, zwischen Oben und Unten, zwischen tierischem Selbsterhalt und göttlicher Opferbereitschaft, zwischen Freundesliebe und Feindesliebe. Durch seine Entscheidungen produziert er entweder tierische oder göttliche Inhalte. Wir können z. B. in der Flüchtlingsfrage den Verstand mit Liebe aufladen oder mit Angst und Hass. Wie Letzteres ausgeht, kann man am rasenden Antisemitismus seit dem 11. Jahrhundert und dann schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts sehen, den die Nazis schnell aufgegriffen und dann noch angeheizt haben. Unzählige Deutsche haben dadurch ihr Bewusstsein mit Angst, Gier und Judenhass aufgeladen und sind dann im Bombenhagel auf die deutschen Städte oder an der Front untergegangen. Die Hindus nennen diese Verknüpfung von Ursache und Wirkung Karma. Aber der Alltagsmensch kennt diesen Zusammenhang und die darin enthaltene Wahlmöglichkeit nicht.

Ist die (unbewusste) Entscheidung für Fremdenabwehr, der Regelfall wie bei den Tieren, gefallen, verarbeitet der Verstand animalische Angstprogramme zu Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und verleitet zum Anzünden von Flüchtlingsheimen, zu Fremdenhass und zu weiteren Funktionen des Selbsterhaltungsinstinktes wie Angst, Narzissmus oder Größenwahn, die letztlich zu Bürgerkrieg und Krieg führen.

Der Verstand kann entscheiden, wem er dienen will: „…erwählet euch heute, wem ihr dienen wollt“ (Josua 24,15). Er kann Erfahrungen auswerten und Schlüsse in Bezug auf Wahrheit aufgrund von Erfahrungen ziehen. Er kann Rückschlüsse aus seinen Erfahrungen in Bezug auf das ziehen, was ihm eingegeben wurde (z. B. Erziehung). Damit kann er beginnen, die Oberfläche zu durchschauen.

Der Verstand reproduziert tierische (zu 99 %) oder eben göttlich initiierte Resultate. Ist Ersteres der Fall, verarbeitet er Angst-, Minderwertigkeits- und Hassprogramme mit seiner Logik zu Ressentiments gegenüber Flüchtlingen oder zu Hetzjagden auf sie. Je mehr wir ihm aber angewöhnen, auf unerwünschte Gedankenattacken nicht mehr zu reagieren, obwohl uns das ursprünglich niemand beigebracht hat, desto mehr empfangen wir Eingebungen aus unserer intuitiven Quelle.

Der Verstand kann nicht von sich aus damit aufhören, andere Menschen zu verehren („Führer“), heute zum Beispiel als Follower, oder zu verachten („Untermensch“), heute als Shitstorm und/oder als Rechtsextreme. Er kann nicht von sich aus die Hand im Handschuh erkennen und damit hinter die Kulisse der Erscheinung zu schauen, weil er in die Oberflächenwelt hineingeboren wurde und durch Erziehung und Ausbildung noch in dieser Sicht bestärkt wurde. Er kommt so aus dem Tretrad erst einmal nicht mehr heraus. Fast nur durch schwere Lebenskrisen, meist durch schwere und schwerste Verluste, bekommt er aber Impulse („Umkehrpunkte“) und erhält damit die Chance, nachzufragen und nach dem Sinn zu suchen (siehe Kapitel 10).

Ein zentrales Merkmal des Verstandes ist wie gesagt die Unterscheidung von Gut und Schlecht, die Bewertung. Er kann es nicht lassen, alles um ihn herum in gut oder schlecht einzuteilen, was eine reine Egofunktion ist (siehe Kapitel 3). Unser Verstand kann uns nicht mit Wahrheit versorgen – das kann nur die Seelenkraft von innen -, sondern er verführt uns immer zu oberflächlichen Urteilen über das, was er dann für Wahrheit hält. Diesen Sachverhalt verdeutlicht das Verhalten von HAL oder auch die Chinesische Parabel von Hermann Hesse:

Einem Bauern lief sein Pferd weg. Es war eine preisgekrönte Stute. Deshalb kamen die Nachbarn, um ihm ihr Beileid über den herben Verlust auszusprechen. „Du bist wohl sehr traurig“, sagten sie. Doch der Bauer antwortete: „Wer weiß.“ Wenig später kam die Stute zurück und brachte fünf wilde Pferde mit sich. Wieder kamen die Nachbarn, diesmal, um zu gratulieren. „Du bist jetzt wohl sehr glücklich“, sagten sie. Der Bauer antwortete nur: „Wer weiß.“
Am nächsten Tag versuchte der Sohn des Bauern, eins der Wildpferde einzureiten. Er wurde abgeworfen und brach sich ein Bein. „So ein Pech“, sagten die Nachbarn. „Wer weiß“, antwortete der Bauer abermals.
Einige Tage später kamen Offiziere ins Dorf, um Soldaten zwangsweise zu rekrutieren.  Sie nahmen alle jungen Männer mit – mit Ausnahme des Bauernsohnes, der wegen des gebrochenen Beines nicht für den Kriegsdienst tauglich war.
(Hermann Hesse: Chinesische Parabel. In: Legenden.)

Die Menschen, die ihr Alltagsleben mit negativen Inhalten füllen, mit Vorwürfen, Beleidigungen, Streit, Intrigen, Horrorfilmen, Krimis, Ballerspielen, Angst- und Sorgephantasien usw., denen gibt das Leben Entsprechendes zurück.  Es bedeutet, dass ihr Leben in drastisch zunehmendem Maß von Kränkung, Zwietracht, Gemeinheit, Angst und Sorge geprägt sein wird. Wenn demzufolge im Shitstorm die Absender der unzähligen Hass-E-Mails wüssten, was sie sich letztlich selbstvergiftend antun, würden sie sich sehr, sehr, sehr zurückhalten.

Die Alternative ist, es nicht mehr zuzulassen, dass von unten nur Sorge, Angst und Wut mein Denken füllen. In mir ist angelegt, dass ich bewusst entscheiden kann, ob ich hasse, Vorwürfe mache, verurteile, mich sorge, usw. oder eben auch nicht. In mir ist zumindest das Potenzial die Führung durch meine Geistseele. Mein Verstand gehört mir und nicht ich ihm.

Vertrauen auf Verstandestätigkeit bedeutet unkritische Akzeptanz seiner eingeschränkten Reichweite. Eingebungen der Seele bedeuten Aufbrechen dieser Begrenzungen. Nichts, was nur aus dem Verstand kommt, kann absolute Wahrheit sein: Das, was gestern gültig war, kann heute anderes sein. Was sich durch stetige Erfahrung als Wahrheit bestätigte, kam nicht aus dem Verstand. Die Dominanz des Verstandes wird durch die Intuition aus der durch Meditation hergestellten Stille gebrochen.

Generell ist unsere Sicht der Welt ein Produkt der Triebseele. Deswegen versuchten Buddha, Mose, Mohammed, Krishna, Jesus, Nanak, Lao Tse und ihre Nachfolger, diesen Bewusstseinsschleier aufzureißen und auf die geistige Ebene der Welt – im Handschuh – aufmerksam zu machen.

Einstein hätte aufgrund seines Scharfsinns und seines Talents trotzdem rechnen können wie er wollte, erst durch Geistesblitze konnte er seinen bisherigen Horizont erweitern. Seine Intuition war es, die ihm zur bahnbrechenden Idee der Relativität verhalf, die er dann mit seinem Verstand ausarbeitete. Dies hat er selber derart formuliert, dass er nach Vorüberlegungen seine „spezielle Relativitätstheorie eines Morgens im Jahre 1905 nur noch in Form von … Symbolen aufzuschreiben hatte“ (Weigelt, G.:  Quantensprünge des menschlichen Bewusstseins. S. 144)

Zweitausend Jahre Bibelexegese belegen das ernüchternde Bild, dass ohne intuitiv geführte Erfahrung wie etwa bei Hiob eine Weiterentwicklung spiritueller Erkenntnisse unmöglich ist. Deshalb bietet das Leben unentwegt schwere Krisen als Anlässe, solche Mahnungen beispielsweise der Bergpredigt wie etwa Feindesliebe auszuprobieren.

Aussagen über Gott ersetzen nicht Erfahrungen mit Gott. Wer die Wahrheit durch den Verstand zu erreichen sucht, wie es die Theologie tut, stellt die Aussage des Nazareners auf den Kopf, dass er „von sich selber nichts tun könne.“

Das orthodoxe Christentum verzichtet in diesem Zusammenhang interessanterweise auf Predigten und ersetzt sie durch liturgischen Gesang, einmal nur durch den Popen und aber auch in einem Wechselgesang zwischen ihm und dem Publikum. Dadurch soll eine Art Trance (Reduktion der Verstandestätigkeit) erreicht werden, die ihrerseits den Zugang zur Seele erleichtern soll. Vergleichbares praktizieren die islamischen Sufi-Derwische mit ihren Drehtänzen und die Buddhisten mit der Meditation.

In der Praxis der spirituellen Lebensführung führt die Entthronung des Verstandes dazu, beim Auftauchen beliebiger Probleme nicht als erstes mit ihm nach einer Problemlösung zu suchen, sondern als erstes nach dem Problemlöser. Später kommt der Verstand zu seinem Recht, die angezeigten Wege praktisch zu organisieren. Das sieht so aus, dass ich mich in Gedankenruhe, Tiefenentspannung und Meditation versetze und um Führung bitte. Erst später soll die segensreiche Funktion des Verstandes einsetzen, die sich mit der Umsetzung der empfangenen Lösungsschritte beschäftigt. Denn der Verstand ist nicht der Kapitän, sondern der Lotse des Lebensschiffes, der empfängt und umsetzt, bei Firmengründung, Kindererziehung, juristischer Beratung, Patientenbehandlung, Lesen von Weisheitsschriften, Feindesliebe usw. Insofern ist der Verstand paradoxerweise zugleich Gefängnis und Befreier aus dem Gefängnis. Was sich als Wahrheit herausgestellt hat, kam nicht aus dem Verstand, sondern durch ihn.

Literarisch verarbeitet Wolfram von Eschenbach den Weg vom Verstand zur Seele, indem Parzival in der Gralsburg bei seiner zweiten Begegnung mit König Anfortas die Konsequenzen aus seinem Fehler (des Verstandes!) zieht und dieses zweite Mal durch die intellektuelle Auswertung seiner spirituellen Erfahrung (mit dem Herzen) nun die Mitleids(!)frage stellt.

Sich nicht auf den Verstand zu verlassen, heißt nicht, aufs Denken zu verzichten, es bedeutet, die gegenseitige Abhängigkeit zu vertauschen und die Führung der Geistseele zu überlassen, wie es Jeanne d’Arc demonstriert hat. Sich einseitig auf das intellektuelle Urteilsvermögen zu verlassen, ist seit Jahrtausenden ein Irrweg. 

2 Gedanken zu “7. Forrest Gump und der menschliche Verstand”

  1. Hallo liebe Frau Seidel,
    herzlichen Dank für diese gefühlvollen Gedanken zu dem Film „Forrest Gump“. Nach diesem Blogeintrag von Herrn Lang fühlte ich mich sofort ermuntert auch Ihre Rezension zu lesen, wunderbar.
    Ja, ich glaube auch fest daran, dass immer mehr Menschen sich Gedanken über dieses Thema machen und wenigstens versuchen, etwas zu ändern. Denn wenn Alles gut wäre, würde wir uns nicht mit diesen Themen befassen und nach den Hintergründen suchen.
    Es klingt alles so einleuchtend und so einfach. Ich frage mich nur, warum die Menschheit den anderen Weg des Egoismus zu krass eingeschlagen hat. Aber nun ja, dass können wir nicht mehr ändern, aber jede Seele für sich kann dagegen steuern und ich wünsche und hoffe, dass es immer mehr werden.
    Ganz herzliche Grüße
    Claudia Wienecke

  2. Hallo Frau Seidl,
    vielen Dank für Ihre freundliche Reaktion. Ich habe Ihre Rezension gelesen und finde sie großartig.
    Sie bereichert mein Verständnis des Films.
    Sie sehen nicht nur mit dem Intellekt, sondern auch mit dem Herzen gut.
    Viele Grüße
    Jürgen Lang

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