Das Ego will nur und ausschließlich sich selbst. Alles, was nicht es selbst ist, was sozusagen „Nicht-Ich“ ist, ist ihm fremd und wird von ihm – unbewusst – verneint.
Verneinen ist die Essenz des Ego. Denn Bejahen würde heißen, einen Verlust, einen Unfall, usw. als Hinweis des Schicksals zu verstehen und womöglich auf die Suche nach der Ursache zu gehen. Bejahen von allem, eben auch von Negativem, würde die Ganz- und Einheit allen Seins und allen Geschehens bedeuten und das Erkennen zeigen, dass „alles von Gott kommt.“ Das Nichtverstehen jedoch führt dazu, dass das Ego-Programm den Menschen eben grundsätzlich zu Nicht-Akzeptieren und Widerstand gegen die für ihn unangenehmen Dinge führt. Denn es gefährdet die Selbsterhaltung – nicht die des Menschen, sondern die seines Ego. Wenn er in seinem konkreten Verhalten:
– meckert, nörgelt, kritisiert, verurteilt,
– Vorwürfe macht, die Schuld auf andere lädt,
– sich ständig bestätigt, dass man glücklicherweise „nicht so ist wie die“,
– ungeduldig ist,
– Widrigkeiten hasst, Gutes sucht und dabei „Gutes nur für sich selbst“ meint,
– Gutes für andere übersieht,
– sich ständig mit anderen vergleicht,
– vor allem gegen alles, was ihm nicht passt, erbitterten Widerstand leistet,
dann ist das ein Missverständnis des irdischen Übels, das plan- und leidvoll auf der materiellen Ebene existiert, aber nichts anderes ist als ein Paket pausenloser Erlösungsversuche. Es ist:
„Ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“
(Faust I, Studierzimmer)
Das systemische Verneinen sieht man schon bei Gesprächsbeginn, wenn es ums Verneinen des Wetters geht, egal, um welches. Widerstand wird geleistet gegen Erkrankung, anstatt sie als einen Hinweis der inneren physischen und psychischen Unordnung zu verstehen.
Widerstand wird geleistet gegen Anführer, obwohl gerade sie nur die Produkte und die Überbringer der Maya-Einstellungen von Getrenntheit, Konkurrenz, Zwietracht, Spaltung, Angst vor Fremdem und deren aggressiver Projektion im kollektiven Bewusstsein der Massen sind. Hitler wäre ohne den rasenden Antisemitismus seit Ende des 19. Jahrhunderts in Ost- und dann in Mitteleuropa und ohne die mörderischen Wirtschaftskrisen unmöglich gewesen. Wobei auch die Wirtschaftskrisen ebenso ein Spiegel der unersättlichen Gier-, Protektionismus-, Spekulations-, Feindschafts- und Kriegsprogramme im Bewusstsein aller (!) Alltagsmenschen sind.
Widerstand wird geleistet gegen den Konkurrenten, den Ehepartner im Kampf um die Kinder, den übergriffigen Nachbarn oder gegen die Ärzte bei einem Kunstfehler. Hierbei nimmt das Ego immer sofort die Opferrolle ein, anstatt sich zu fragen, warum es getroffen wurde. Es will nicht zur Kenntnis nehmen, dass es in der Gut-Böse-Welt grundsätzlich Objekt von Gutem und eben auch Bösem ist. Es bildet sich ein, den Anspruch auf immer nur die Rosinen haben zu können und weiß nicht, dass dies nur den spirituellen Suchern widerfährt, denjenigen „unterm Schirm.“ Es kann nicht wissen, dass es nur das grundsätzliche und umfassende Bejahen ist, das Frieden erzeugt. Es weiß vor allem nicht, dass das Verneinen und Widerstehen das Leid im Leben verursacht.
Da das Ego das Prinzip der scheinbaren Gegensätze nicht kennt und glaubt, es gäbe Münzen mit nur einer Seite, versucht es immer, sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken und Unangenehmes zu vermeiden anstatt alles, was kommt, anzunehmen, weil dieses Bestandteil des Lehrgangs „Erlösung“ aus der Gut-Schlecht-Welt ist.
Das ist das menschliche Drama, dessen Ursprung in der Schöpfungsgeschichte geschildert wird. Adam und Eva sind nicht zufrieden mit ihrem vollkommenen Zustand bzw. werden zur Unzufriedenheit provoziert. Schließlich besitzen sie den freien Willen und benutzen ihn auch: Sie bejahen ihren bisherigen Zustand nicht mehr.
Durch spirituelle Lebensführung aber gibt es in ansteigendem Maß die Aufhebung der „Gegensätze“ durch das Erkennen ihrer Einheit. Daraus entsteht ein Leben, in dem das Üble – durch die Einung mit dem Vollkommenen – zunehmend entfällt, weil es im Bewusstsein als Verführungsversuch und nur scheinbar Übles bzw. als nicht übel im geistigen Sinn identifiziert wird. Negative Erfahrungen wie z. B. Trauerfälle werden ganz anders aufgefasst und verlieren damit an Wirkung. Dies bezeichnet die Philosophie der Stoa im antiken Griechenland mit dem Begriff Ataraxie (Seelenruhe).
Das Verneinen ist die Ursache allen menschlichen Übels.
„Ich bin der Geist, der stets verneint.“ Das konstruktive Gegenteil findet sich in der Odyssee, in der der griechische Dichter Homer die Entwicklung seines Helden wieder und wieder als „vom Zürner zum Dulder“ (!) beschreibt. Den Sieg über die Verneinung finden wir auch bei Jesus von Nazareth, der sich vom „Otterngezücht“ über den inneren Kampf im Garten Gethsemane bis zum bewussten Zulassen und Dulden von Folter und Tod entwickelt.
Zum Ego-Sterben trägt das Gegenteil des Verneinens bei, das Dulden bzw. Bejahen von allem, was auf einen zukommt, wie das ein japanischer Zen-Meister zeigt:
Der Zen-Meister Hakuin wurde von seinen Nachbarn als einer, der ein reines Leben führte, gepriesen. Ein schönes japanisches Mädchen, dessen Eltern ein Lebensmittelgeschäft besaßen, wohnte in seiner Nähe. Da entdeckten die Eltern plötzlich, dass sie schwanger war und wurden sehr böse. Die junge Frau wollte nicht gestehen, wer der Mann war, aber nach langem Drängen nannte sie schließlich Hakuin.
In großem Ärger gingen die Eltern zum Meister. „Aha!“ war alles, was er zu sagen hatte. Nachdem das Kind geboren war, brachte man es zu Hakuin. Er hatte seinen guten Ruf verloren, was ihm jedoch keine Sorgen machte, und er kümmerte sich in bester Weise um das Kind. Von seinen Nachbarn erhielt er Milch und alles andere, was das Kleine benötigte. Ein Jahr später konnte die junge Mutter es nicht länger aushalten. Sie erzählte ihren Eltern die Wahrheit, dass der echte Vater ein junger Mann sei, der auf dem Fischmarkt arbeitete. Die Mutter und der Vater des Mädchens gingen wieder zu Hakuin und baten ihn um Verzeihung; sie entschuldigten sich lang und breit und wollten das Kind wieder mitnehmen. Hakuin war einverstanden. Während er das Kind übergab, war alles, was er sagte: „So, so!“

Zen-Meister Hakuin-Ekaku. 1767.png (s-w) commons.wikimedia.org
Hakuin hat verstanden, dass diese Widrigkeit in Wirklichkeit ein Arrangement des Schicksals ist, um seine spirituelle Entwicklung, also die seines Bewusstseins, voranzutreiben. Er leistet keinen äußeren Widerstand gegenüber allen Einflüssen, die ihn bedrängen, er will nichts verbessern, was nicht als Impuls von seiner Seele kam, und er ist mit nichts unzufrieden. Er weiß, dass der Lebenserfolg vom Bejahen abhängt und vom Verneinen zertrümmert wird. Hakuin schafft das, was der Alltagsmensch genau nicht macht, das Problem, die Drohung, die Notlage bejahen. Unzufriedenheit, Verneinung und Widerstand sind essentielle Merkmale der Ego-DNA des Menschen. Dieses Merkmal ist – siehe oben – schon in der Schöpfungsgeschichte angelegt. Während Hakuin weder unzufrieden war noch Widerstand geleistet hat, hat Eva noch nicht einmal auf ein reales Problem reagiert, sondern nur auf eins von der Schlange ihr eingeredetes.
Hakuin will nichts selbst lösen. Er hat sich nicht als Opfer verstanden, er hat seiner Seele vertraut und ist in das Dulden gegangen. Die Widerstandslosigkeit ist in Wirklichkeit das Übergeben des Problems an die spirituelle Kraft in ihm und das Warten auf ihre gleich welche Lösung. Das führt ihn aus dem Problem heraus. Er lässt – um eine Wendung aus der christlichen Weisheit zu verwenden – Unkraut und Weizen zusammen aufwachsen, versucht also nicht, das Unkraut sofort auszureißen, er lässt es zu und wartet auf die Wirkkraft der Seele, die ihrerseits dafür sorgt, dass das Unkraut verschwindet. Aber im Ehe- oder Geschäftsleben, überhaupt in allen Lebensbereichen, vor allem bei Krankheiten, sind Widerstand und Entfernenwollen prinzipieller Bestandteil menschlichen Verhaltens. Auf internationaler Ebene lässt die Politik des „Regime Change“ der Supermächte grüßen.
Hakuins Verhalten zeigt exemplarisch das Prinzip des Duldens, ist aber für das alltägliche Leben des spirituellen Menschen unvollständig. Es nützt erstens nichts, bei irgendeinem schlimmen Angriff auf mich zähneknirschend und mit geballten Fäusten in den Hosentaschen scheinbar duldend zu sein und nicht zu reagieren. Denn man reagiert ja doch mit innerer Aufwallung. Es kommt darauf an, innerlich nicht zu reagieren, im wahrsten Sinne des Wortes seelenruhig zu bleiben und alles als von Gott kommend zu erkennen. Dies kann nur auf der Grundlage des Verständnisses funktionieren, dass ich verstehe, dass gerade ein spiritueller Test für mich abläuft. Dann kann ich ruhig entscheiden, wie ich äußerlich vorgehe. Und das ist zweitens eben auch gelegentlich Kampf (Gita, II. Gesang). Es kommt vor, dass der spirituelle Sucher bei Übergriffigkeiten anderer – egal, ob es uns betrifft oder Kollegen, Partner, Fremde, Kinder, usw. – sehr wohl eingreifen soll. Das hat aber trotzdem nichts mit Retourkutschen, nichts mit „Auge-um-Auge“ und auch nichts mit dem tierischen Reiz-Reaktions-Schema zu tun, denn im Fall der Entscheidung, in den Kampf zu ziehen, ist die Absprache mit der Seele und letztlich deren Aktionsauftrag vorausgegangen. Ob man sich also auf der Nase herumtanzen lässt (oft) oder nicht (selten), ist Entscheidung der inneren Führung. Insofern liegt die Lösung weder im Nachgeben noch im Zurückschlagen, sondern im Verlassen der materiellen Ebene des Bewusstseins.
Was den Kampf betrifft, mahnt Gott Krishna die Person Ardjuna:
„Was flüchtest du vorm heilgen (!) Kampf,
und weichst dem Treffen feige aus, …
(Bhagavad Gita II, 33)
Was wir allerdings grundsätzlich nicht duldend zulassen, sind die ständigen Gedankenangriffe. Wir kämpfen aber nicht gegen sie an, sondern verlassen diese grünweltliche Ebene postwendend und gehen über zur Sichtweise der Seele, um den Negativitäten keinen Raum zu geben. Wir machen uns als sofortige Antwort unsere Gotteskindschaft bewusst; das schiebt dem Eindringen der negativen Gedanken einen Riegel vor.
Egal, was von außen auf einen einstürmt: Es geht darum, nicht zu reagieren im Sinn einer Retourkutsche. Das ist das genaue Gegenteil der jüdischen Tanach-Lehre vom „Auge um Auge“-Prinzip, welche nichts anderes ist als das archaische Verhaltensmuster des Säugetieres. Es geht gerade um die Abkehr vom reaktiven Verhalten des Tieres, das aus Reiz und Reaktion besteht, aber genau so reagieren die Menschen immer noch: Sie gehen von A nach B, indem sie auf der Grünwelt-Ebene bleiben und glauben, dass sie nur überleben, wenn sie sich rächen und zurückschlagen. Wer zurückschlägt, hat Gott nicht. Weitsichtig lässt Shakespeare Hamlet fragen und anschließend rhetorisch selbst beantworten:
„Was ist das Edlere: … dem Meer von Plagen zu trotzen? Oder im Geist (!) zu dulden das rasende Geschick?
„… wie der, der – alles leidend – nichts erleidet: ein Mann, der Schicksalsgunst und Schicksalsschläge hinnimmt mit gleichem (!) Dank.“ (Hamlet: III,1; III,2)
Was macht der Schaffner, dem von einem Fahrgast, der wegen einer erheblichen Verspätung seinen Anschlusszug verpassen wird und deswegen ausrastet, ins Gesicht gespuckt wird? Die Reaktionen mit materiellem Bewusstsein werden unterschiedlich sein, aber spirituell gesehen wird es darauf hinauslaufen, den Wüterich nicht zu ohrfeigen, sondern zu erkennen, welche Software ihn zu seinem Verhalten getrieben hat, weiterhin zu erkennen, was das ist, was reizt, zurückzuschlagen und schließlich, sich bewusst zu machen, warum ausgerechnet er ausgerechnet mir in in speziell dieser Situation begegnet ist, um das absurde Gerede vom „Zufall“ durch karmisches Verständnis zu ersetzen. (Das heißt nicht unbedingt, die Missetat zu dulden, aber alles Weitere kommt nicht von mir, sondern durch mich von der Seele.)
Einer Kursteilnehmerin wurde durch eine ärztliche Behandlung ein Trommelfell so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass sie auf diesem Ohr taub wurde. Außer sich vor Entsetzen und vor Wut wollte sie den behandelnden Arzt verklagen, weil für sie ein Ärztefehler feststand. Ich riet ihr dringend davon ab, weil die Missachtung des Prinzips der Widerstandslosigkeit allzu oft zu negativen Folgen führt. Zwei Jahre später traf ich sie wieder. Sie beklagte sich, dass sie gegen die geballte Kraft der Anwälte keine Chance gehabt und der Prozess sie in den finanziellen Ruin getrieben hatte.
Nun hatte sie keinen Bezug zur inneren Führung und so nur theoretisch eine echte Wahl, denn der Verzicht auf Widerstand hätte ja erfordert, sich vertrauensvoll auf ihre Seele verlassen zu können. So ist sie den Weg aller gegangen, die immer nur kämpfen und auf Rache sinnen, weil ihr Opferbewusstsein alle eigenen Balken (vor allem karmisch, s. Kap. 10) überdeckt. Noch desaströser sind die alltäglichen Kämpfe ums Sorgerecht, weil dabei nicht nur die beiden Kontrahenten sich ihr Leben gegenseitig vergiften, sondern das ihrer Kinder auch noch gleich dazu.
Hakuin ist ein fiktives Gegenbeispiel, moderne und konkrete Vorbilder für richtig verstandene Widerstandslosigkeit sind u. a. Gandhi, Martin Luther King oder Mandela. Sie haben dieses Prinzip beherzigt, das Meister Eckhart konsequent so ausdrückt, Seneca zitierend:
„Was ist der der beste Trost im Leiden …: Es ist dies, dass der Mensch alle Dinge so hinnehme, als habe er’s so gewünscht und darum gebeten; denn du hättest es ja auch gewünscht, wenn du gewusst hättest, dass alle Dinge aus Gottes, mit Gottes und in Gottes Willen geschehen.“
(Das Buch der göttlichen Tröstung, Kapitel 1)
Wer unter dem „Schirm des Höchsten“ sitzt, d. h. das Bewusstsein seiner göttlichen Identität und der Zahnlosigkeit des Übels erlangt hat, hat erfahren und erfährt tagtäglich, dass seine Konflikte ja übernommen und von seiner Seele gelöst werden. Seine Rolle dabei ist „lediglich“ die eines Instruments, das die Impulse der Führungsinstanz ausführt. Falls es in den Kampf geht, hat dieser einen ganz anderen Charakter als die blindwütige Reaktion auf einen Angriff. Dabei ist besonders wichtig, dass fürs Ego ein Kampf praktisch immer gleichbedeutend mit Gewalt ist. Die Kämpfe des spirituellen Menschen bestehen immer aus dem genauen Gegenteil, der Gewaltlosigkeit. Das klassische Beispiel dafür ist Gandhi (s. u.): „Gewalt ist eine Sünde gegen Gott.“ Man muss aber nicht Gandhi sein, um seine Kämpfe gegen die Angriffe der Kirchen wie z. B. der Quäker George Fox oder die Vergewaltigung des Klimas oder gegen den Hunger ohne Gewalt und mit Erkenntnis des Gottesfunkens auch im Gegner zu führen, der eben in geistigen Sinn auch „nicht weiß, was er tut.“
Innerliche Verarbeitung und ggf. äußerliches Handeln folgen dem Prinzip „Dein Wille geschehe!“ Wenn die Röntgenaufnahme vom Tumor mich erschreckt oder ich bestohlen oder angegriffen wurde und Panik- oder Rachegedanken mich erfüllen: Sich von der der Grünwelt-Matrix abwenden, nach innen gehen und vor dem zweiten Teil der Meditation, der Stille, die vom Zuhören geprägt ist, um Führung bitten: Was ist DEIN Wille, was ich tun oder nicht tun soll? Dann warten und dann nach der Antwort entsprechend ggf. mutig handeln. Mutig deswegen, weil es oft vorkommt, Wege zu gehen, die aus dem normalen Rahmen fallen und häufig das genaue Gegenteil von dem sind, was uns der „gesunde Menschenverstand“ eingibt.
Reaktionslosigkeit bedeutet, dass wir innen unser negatives Gedankentrommelfeuer abblocken und außen nicht vergelten. Das heißt wie gesagt nicht, nicht zu handeln. Reaktionslosigkeit hat mit Passivität nichts zu tun. Aber zwischen Reagieren und Handeln besteht ein großer Unterschied. Reagieren meint das Heimzahlen auf der menschlichen Ebene, während Handeln das von innen inspirierte, von der Seele ausgehende Vorgehen meint: „DEIN Wille geschehe!“ oder „Wu Wei.“ Am Beherrschen des Duldens und der Standhaftigkeit in der Auseinandersetzung lässt sich der spirituelle Fortschritt ablesen.
Gandhi (s.u.) hat das exemplarisch vorgemacht, indem er alle gewalttätigen Übergriffe der Briten einerseits duldete (Salzmarsch), andererseits gegen deren koloniale Besatzung auf geistiger Grundlage (s.u.) konsequent und unnachgiebig kämpfte, in vollständig gewaltfreier Form.

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Labana Satyagraha von Gandhi war ein bemerkenswertes Kapitel im Freiheitskampf mit den Briten. Obwohl unsere Küsten reichlich Salz produzierten, untersagten die Briten die Verwendung, damit sie aus ihrem Land importiertes Salz verkaufen können. Gandhi startete eine massive Bewegung, um gegen dieses britische Gesetz zu protestieren und gegen das Gesetz zu verstoßen, so dass er nach Dandi marschierte, um Labana Satyagraha zu starten.
Dies ist eine 2D / 3D-Skulptur im Gandhi Memorial.
Es ist schwer, das Dulden gegen das erbitterte Drängen des tierischen Elements der Selbsterhaltung in uns aufrechtzuerhalten, denn wir alle sind mit dem Grundsatz erzogen: „Wie du mir, so ich dir!“
Unser biologisches Erbe sagt uns, dass wir es demjenigen, der uns weh getan hat, heimzahlen. Und so verhalten sich die Menschen. Deswegen gibt es auch eine so übergroße Zahl von Rachefilmen. Filme mit dem Thema Widerstandslosigkeit und Nicht-Vergeltung gibt es kategorisch nicht – außer natürlich zu Ostern.
Wer sich rächen will oder Widerstand leistet gegen irgendeine Drohung oder ein Unrecht, vertauscht die Ursachen: Unser karmisches Erbe sagt, dass wir für alle Disharmonien in unserem gegenwärtigen Leben aus Präexistenzen selbst Verursacher waren, weil – sogar, wenn wir aktuell nicht das Geringste angestellt haben – wir nicht nur einiges aus den Vorleben abzuarbeiten haben, vor allem aber immer noch nichts dagegen unternommen hatten, aus dem Bereich von Gut und Böse, unter dem wir leiden, herauszukommen. Und hineingekommen sind wir auf Grund unserer Unwissenheit über die Funktionsweise unsers Bewusstseins. Diese Unwissenheit führt dazu, dass uns ein Gemisch von Gutem und Bösem entsprechend der Zusammensetzung unseres Bewusstseins mit seinen Gedanken widerfährt.
Wer den Weg aus dem Jammertal sucht, wird sich mit dem Beweggrund für das Verhalten von Hakuin beschäftigen und aufhören, die Welt um sich herum zu verbessern. Denn es gibt in der Schöpfung nichts zu verbessern!
Wie kann man so etwas behaupten, wo doch an allen Ecken und Enden Mangel, Defizit, Gefahr, Drohung, Elend und Not herrschen? Da außer der Natur alles, was wir vor uns sehen, durch unser Bewusstsein entstanden ist, können wir Änderungen auch nur durch Wandel unseres eigenen (!) Bewusstseins vornehmen. Wer die Welt verbessern will, ohne sein Bewusstsein auch nur anzurühren, – welches ja die Quelle für all die Zustände ist -, kann zwar punktuelle Erfolge erzielen, aber am Gesamtprinzips des Tränentals nichts ändern. Dies wollen die Umweltaktivisten mit ihren Klebeaktionen nicht wahrhaben. Im Gegenteil beruht ihr Vorgehen auf Mangelbewusstsein und verstärkt diesen nur noch; würden sie die Klimakatastrophe als wohlmeinenden Impuls des Universums auffassen, also als gegenwärtig den bestmöglichen der kritischen Zustände, und sich von eben diesem Universum mittels Intuition leiten lassen, würden sie die Welt tatsächlich verbessern. So wie Gandhi 300 Millionen Inder in die Freiheit geführt hat.
So wie die Umweltaktivisten geht u.a. auch die herkömmliche Medizin vor, die weitgehend darauf aus ist, die Symptome von Krankheit zu unterdrücken, anstatt sich um ihre Ursachen und deren Ursachen zu kümmern. (Dies heiß aber nicht, dass ihre Medizin falsch ist, denn was wären wären die Menschen, also die weit mehr als 90 % rein materiell handelnden, dann ohne sie. Immerhin leistet die Medizin ein ungeheures Maß an Linderung, auch wenn sie zu geistiger Wende und nachhaltiger Heilung nicht beiträgt.)
Das Übel ist nicht zu bekämpfen, sondern zu verstehen. Jesus hat nie irgendetwas bekämpft – außer in seiner Frühphase in der Sache mit den Geldwechslern -, er hat immer nur vergeben. Und im Falle einer Krankheit sagte er: „Steh auf, nimm dein Bett und geh!“ Schließlich wusste er, dass es Krankheit „unterm Schirm des Höchsten“ nicht mehr gibt, wenn auch Symptome, also Versuchungen, nicht zu knapp.
Wer seine eigene Säugetier-Selbsterhaltungs-Software beibehält: kämpfen, hassen, zurückschlagen, Revier verteidigen, Konkurrenten ausschalten, sich rächen, Vergeltung üben, usw., bleibt im Modus der materiellen Welt und muss weiter unter dem Damoklesschwert von Ungerechtigkeit, Gewalttätigkeit, Schicksalsschlag, Enttäuschung, Unglück, Elend und Not leben. Je mehr sich die Menschen blind vom „Auge-um-Auge“-Prinzip steuern lassen, desto weniger Augen gibt es, die die „blutige Bühne“ durchschauen.
Dabei liefern sich die Menschen nicht nur gegenseitig ständig Kämpfe, sondern bekämpfen zudem noch wesentlich erbitterter alle spirituellen Ideale, weil diese das Ego zerstören würden. Ein Feind ist für das Ego zwar ein Feind, alles Göttliche aber im wahrsten Sinn des Wortes ein Todfeind.
Alle Weisheiten auf der ganzen Welt haben nur ein einziges Ziel, dass nämlich dieses Ego stirbt und die wahre Liebe sich durchsetzt. Deren entscheidendes Merkmal ist die Unterschiedslosigkeit. So hat Gandhi etwa die britischen Gewaltherrscher zwar bekämpft, aber nicht gehasst. Im Gegenteil wusste er nur zu gut, dass diese – wie auch die Menschen überhaupt – „nicht wissen, was sie tun.“ Fast alle haben nur das eine Ziel, ihren Selbsterhalt abzusichern, obwohl sie nur überleben können, wenn sie dieses Muster ablegen und sich primär um die anderen kümmern anstatt primär um sich selbst – und dies zumeist ausschließlich. Das Leben des Nazareners diente dazu, die Liquidation des Überlebenstriebes darzustellen – durch eben die Liebe. Mit seinem körperlichen Tod am Kreuz ist der Tod der Selbsterhaltung gemeint, der Tod des vergänglichen Teils der menschlichen Existenz. Denn das Bewusstsein als Träger der bleibenden Teile – meist als Unterbewusstsein – tritt in den Postexistenzen wieder auf (Karma-Prinzip der Stetigkeit) und ist ja gerade Objekt der Wachstums- und Reifeprozesse des Individuums.
Es geht darum zu erkennen, dass das Übel eine von menschlichem Bewusstsein erzeugte Erscheinungsform ist, die von ihrem Wesen her nicht die Macht besitzt, uns zu schaden. Es ist prinzipiell ohne Macht wie der Riese, der vom Knirps der mit einem Kieselstein erledigt werden kann. (Der Kieselstein ist ein Symbol dafür, dass es sich um eine Waffe mit Fernwirkung handelt, also nicht um ein Kräftemessen im körperlichen Vergleich, sondern um den Einsatz von Software. Bei Odysseus sind es dementsprechend die Pfeile, mit denen er die „Freier“ erschießt.) Wir gehen also in der Auseinandersetzung nicht in einen Clinch. Die innere Antwort besteht aus dem Bewusstsein der Machtlosigkeit des drohenden Riesen. Wenn „Mister Gott“ – so würde es die Kleine Anna sagen – auch auf der anderen Seite ist, gegen was oder wen sollte man Widerstand leisten?
Das Übel schwindet erst, wenn wir aufhören, es jemandem heimzahlen zu wollen. Unsere Null-Reaktion (eben nicht von A nach B) enthält es, auf die Antwort „Auge um Auge“ zu verzichten und auf der Basis der Meditation (A nach C) seiner Seele die Auseinandersetzung zu überlassen. Deswegen lehrt Jesus die Ungeheuerlichkeit: „Ihr sollt nicht widerstreben dem Übel!“
Unser Anteil beim Nichtreagieren ist innen erheblich: Wir kontern die permanenten Gedankenattacken, die uns die Notwendigkeit des (Überlebens-)Kampfes suggerieren wollen. Die Konter sehen dann so aus, dass wir uns mit geistigen Grundsätzen aufladen wie z. B. mit der Machtlosigkeit der Schreckensbilder oder mit der Einheit allen Seins, hier der der Seelen, vor allem mit „Gnothi se auton“, wofür Jesus in der Bergpredigt den Begriff „Feindesliebe“ gewählt hat, also die Erkenntnis, dass im Feind ebenfalls Gott ist. Wir warten auf innere Impulse, bevor oder falls wir aktiv werden. Dieser Gang nach oben-innen bedeutet den entscheidenden Wechsel der Dimension: Wir dulden oder kämpfen ggf. tapfer, dann aber nur als Werkzeug der Seele und keinesfalls als das des Ego. Dabei ist es egal, ob ich rasende Kopfschmerzen habe, ob meine Miete erhöht wird oder ob der Nachbar immer zu laut ist. Wir akzeptieren. Wir lassen das Schwert stecken, weil wir wissen – und das ist das Entscheidende -, dass auf der gegenüberliegenden Seite des Übels ebenfalls Gott ist, der auf die Wende unseres Bewusstseins wartet, genauer: nicht nur wartet, sondern uns durch den Auftritt eben dieses „Feindes“ zur Wende auffordert. Das ist das Verlassen der Ebene der Materie und der Aufstieg in die geistige. Dann kommt über den spirituellen Dialog oder auch das Bauchgefühl die Lösung. In der jüdischen Weisheit ist das so zu lesen:
„Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet still sein.“ (Ex. 14,14)
„Ich will vor dir hergehen und alle Schwierigkeiten beseitigen.“ (Jes. 45,2).
In der Praxis gibt es verschiedene Varianten, wie die Seele das löst, egal, ob bei einer ungerechten Benotung, im ehelichen Rosenkrieg, beim Geblitztwerden bei überhöhter Geschwindigkeit mit der Gefahr des Führerscheinverlustes, einer Krebserkrankung oder einem wirtschaftlichen Zusammenbruch:
1. Die zu erwartenden Folgen bleiben aus.
2. Sie treten ein, sind aber überraschend milde, dass man gut damit zurechtkommt.
3. Die zu erwartenden Folgen wirken tatsächlich desaströs, aber in kurzer Zeit kann durch glückliche Umstände und Fügungen alles wieder aufgebaut werden (Phönix).
Wie kann das konkret aussehen: Angenommen, ich habe einen Riesenberg an Schulden angehäuft, der mehrere Jahreseinkommen ausmacht. Ich verliere meinen Arbeitsplatz, meine Beziehung zerbricht, ich muss die Wohnung räumen. Meine wirtschaftliche und soziale Existenz ist damit vernichtet. Da ich mir aber bewusst bin, dass ich in diese desaströse Lage hineingeführt wurde und herausgeführt werde – es sind Lernarrangements auf dem Weg zur Befreiung aus den Grünweltbedingungen -, reagiere ich nicht wie der Alltagsmensch, der in Panik verfällt und katastrophistisch reagiert, von Apathie über Alkohol, Flucht, Diebstahl und Raub. Vielmehr gehe ich nach innen und warte vertrauensvoll auf die Rettung durch meine Seele. Das Warten enthält viele äußere Anfechtungen und innere Qualen der Angst. Wenn ich aber nicht einknicke, ergeben sich plötzlich Perspektiven. Es treten Helfer in Erscheinung, die erst für provisorische Unterkunft, für stabile Übergangslösungen und schließlich für neue Einkommensverhältnisse sorgen. Sie sind nicht sie als Personen, die die Rettung bewirken, sonders sie sind Werkzeuge der Seelenkraft, durch die sie ins Spiel gebracht werden. (Vergleiche dazu den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier.“) Der Fortgang der weltlichen Entwicklung – von der Außenwelt oberflächlich für eine Reihe von günstigen „Zufällen“ gehalten – führt dazu, dass alle Verbindlichkeiten abgearbeitet und gänzlich ausgeglichen werden, die juristischen Konsequenzen milde ausgehen und die Wiederherstellung so ausfällt, dass niemand (!) zu Schaden gekommen ist. Weiterhin führt die neue Lebensführung dazu, dass das Ausgangsniveau des Lebensstandards deutlich übertroffen und in bisher nicht gekanntem Maß harmonisiert wird. Eine vollständig neue Art von Leben des Phönix hat innerhalb der Verhältnisse der Bühnenwelt begonnen und steigert sich innerlich und außen immer weiter im Sinn von mehr als hinreichendem Auskommen, Angstfreiheit, souveränem Selbstwertgefühl, Verjüngung und Lebensfreude.
Es gibt eine gewichtige Ausnahme vom Prinzip des Nicht-Reagierens, die Kindererziehung. Die Heranwachsenden sind auf Rückmeldungen ihrer Erzieher angewiesen, um ihr Verhalten und ihre Stellung in der Welt einordnen zu können. Der erste, der einen Zugang zu einer angemessenen Reaktion auf die Fehlverhalten von Kindern und Jugendlichen beschrieben hat, war Rousseau in seinem pädagogischen Werk „Emil.“ Dabei geht es hier nicht um die Betrachtung des Gesamtwerkes, sondern um einen speziellen Punkt seiner Lehre: Am Beispiel eines schwererziehbaren Kindes beschreibt er die Antwort des Erziehers auf die „Zerstörungswut“ des Kindes. Er soll zum einen die Strafe nach Möglichkeit so aussehen lassen, dass sie nicht als Entscheidung des Erziehers ausfällt, sondern als „natürliche Folge (!) der bösen Handlung.“ Zum zweiten – und das ist das Entscheidende – verbindet er die Strafe, also seine Reaktion, mit einer „freudigen Umarmung“ des Kindes. (Jean-Jacques Rousseau: Emil oder Über die Erziehung. 2. Buch: Die zerbrochene Fensterscheibe) Wer in der pädagogischen Praxis die Erfahrung macht, Fehlhandlungen der Kinder bzw. Schüler einerseits zu bestrafen und dies jedoch mit einer Umarmung oder dem Hinweis verbindet, das betreffende Kind nach dem Abbüßen in die Arme zu schließen zu wollen und ihm zu sagen, dass man ihm trotz allem nicht böse ist, wird Wunder über Wunder erleben, welche Macht die Liebe entfaltet.
„Satyagraha“
Bei allen Anfechtungen ist der entscheidende Lösungsfaktor die Führung durch den „Vater in mir.“ Er ist die einzige Instanz, die uns in den unterschiedlichen Situationen immer die jeweils angemessene Handlung zeigt. Das kann konsequente Passivität sein, aber auch mutiges gewaltloses Vorgehen. Insofern heißt Widerstandlosigkeit nicht Passivität, sondern Verhalten auf der Basis von Nichtreagieren und Absprache mit der Seelenführung. Die Lebensführung des Nazareners ist dafür exemplarisch. Idealtypisch können dafür die Speisung der Fünftausend und sein Verhalten im Garten Gethsemane herangezogen werden. Wir sind zwar demütig, erlauben aber nicht immer und nicht unbedingt, dass man uns auf der Nase herumtanzt. Wir lassen uns auch durchaus in den Kampf führen, wenn der Kontrahent nicht lockerlassen will. Nur wann was der Fall ist, kann sich nur aus der Stille heraus offenbaren. Dann zerfließen die Attacken wie der Morgennebel unter der Sonneneinstrahlung.
Was Widerstandslosigkeit konkret bedeutet, kann man am Vorgehen von Gandhi ablesen. Sein Credo war die sogenannte „Satyagraha“:
„Den Begriff „Satyagraha“ habe ich in Südafrika geprägt, um derjenigen Kraft einen Namen zu geben, mit der die Inder dort für volle acht Jahre (1906-1914) gekämpft haben. Ich sprach von Satyagraha, um diese Kraft von der Bewegung zu unterscheiden, die damals in Großbritannien und Südafrika unter dem Namen des passiven Widerstandes lief. Der Grundgedanke von Satyagraha ist das „Festhalten an der Wahrheit“, darum … habe ich sie auch „Kraft der Seele“ genannt.“
(Mohandas Gandhi: Satyagraha. Aus dem Bericht der Congress-Partei über die Unruhen im Punjab.)
Gandhi hat Jesus verstanden. Nicht widerstehen heißt, das Prinzip der Vergeltung aufzugeben. Wie hätte Jesus auch so etwas lehren können, wenn er nicht die Machtlosigkeit des Bösen erkannt hätte. Wer diesen Hintergrund allerdings nicht kennt, für den ist Nichtwiderstehen irrational, abwegig und erlaubt nur den Schluss: Lasse deine eigene Zerstörung zu! Oder: Soll ich mich etwa übers Ohr hauen lassen?
Gandhi praktizierte Hindurchschau, er erkannte im Feind ebenfalls Gott. Er wusste, dass „alles (!) von Gott kommt“ (Jakob Böhme). Er tat alles, um diese Erkenntnis zu verwirklichen: Während seiner Satyagraha- Kampagne in Südafrika streikten zeitlich parallel dazu die dortigen britischen Bahnarbeiter. Das brachte die britische Kolonialregierung in ungeheure Schwierigkeiten, was Gandhi dazu bewog, seine Bewegung für diesen Zeitraum zu unterbrechen, um die Regierung nicht zu schwächen, wodurch er seine politischen und sozialen Ziele leicht hätte durchsetzen können. Das beeindruckte die Regierung derart, dass sie letztendlich seinen Forderungen nachgab. (nach fboits-blogs)
Die Reaktion seiner Gegner aus der Führungsspitze der Apartheit kommt folgendermaßen zum Ausdruck:
„Ich liebe eure Leute nicht und ich habe durchaus keine Lust, ihnen etwas zuliebe zu tun. Aber was soll ich machen? Ihr helft uns in der Not. Wie können wir da Hand an euch legen? Ich wünschte oft, ihr möchtet zur Gewalt greifen wie die englischen Streiker, dann wüssten wir sofort, wie wir euch loswerden würden. Aber ihr wollt ja nicht mal eurem Feind etwas Böses tun. Ihr wollt siegen lediglich dadurch, dass ihr Leiden auf euch nehmt, und übertretet nie eure selbstgesteckten Grenzen der Höflichkeit und Ritterlichkeit. Und eben das verdammt uns zu völliger Hilflosigkeit.“
(M. K. Gandhi: Meine Experimente mit der Wahrheit. Mein Leben.)
Gandhi orientierte sich an der Seelenkraft und lässt sich von ihr führen, was auch durch andere Zeugnisse eindrucksvoll belegt wird:
„Ich bin hier, um niemand anders als mir selbst zu dienen; um meine eigene Selbstverwirklichung im Dienst für dieses Dorf zu finden. Des Menschen höchste Aufgabe besteht darin, sich Gott zu vergegenwärtigen, und alle seine politischen, sozialen und religiösen Handlungen müssen von dem einen Ziel bestimmt sein, Gott zu erkennen; ich bin aber ein Teil des Ganzen, und kann Ihn nicht getrennt vom Rest der Menschheit finden. Meine Landsleute sind meine nächsten Nachbarn. Sie sind derart hilflos, bar jeder Mittel und Initiative, dass ich mich bemühen muss, ihnen zu helfen. Wenn ich allerdings davon überzeugt wäre, „Ihn“ in einer Höhle des Himalaya zu finden, würde ich mich sofort auf den Weg dorthin machen. Doch weiß ich, dass ich „Ihn“ nicht getrennt von den anderen Menschen finden kann.“
(Nach: DIE ZEIT, 40/1987)
Auf seine Art hat Gandhi die einzige Aufgabe des Menschen auf dem Lernplaneten Erde beschrieben: Gnothi se auton! Dabei hat er eingesehen, dass er nicht warten konnte, bis sich die vielen Millionen Inder der geistigen Wahrheit aufschließen. Er hat alles „nur für sich“ getan, damit sich diese Wahrheit so durch ihn als geeigneten Kanal für die anderen auswirken konnte.
Seine Version der Weltverbesserung hat mit der der unzähligen Idealisten dieser Welt nichts zu tun, weil sein Handeln aus seiner Seele kommt und nicht aus weltlichem Verständnis. Er hat die Inder vom brutalen Blutsauger-Regime des British Empire befreit. Sein Vorgehen war vom Prinzip her nicht Widerstand auf der Grundlage des Verneinens, sondern seelengesteuertes Handeln. Gandhis gewaltlose Kämpfe (z. B. seine Fastenproteste) waren sehr wohl risikoreiche äußere Vorgehensweisen, aber als Werkzeug der Seele und deshalb gewaltlos, immer dem Gesamtwohl dienend und der Person des Feindes nicht schadend.
Auch die Kämpfe Martin Luther Kings waren spirituell inspiriert, denn Gewaltlosigkeit ist ein Merkmal der Auseinandersetzung, das dem Ego fremd ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Gita im zweiten Gesang zu verstehen: Dort ermuntert der Innengott Krishna den Helden, der seine Nächsten auf der Gegenseite in der bevorstehenden Schlacht nicht töten will, den Kampf aufzunehmen (auch wenn in dieser doppelschichtigen Situation mit den Kontrahenten in erster Linie die Gedankenkämpfe gemeint sind).
Hat Gandhi den Weg nach C nur deshalb genommen, um ihn als Mittel zum Zweck zu verwenden und so geschickt nach B zu gelangen? Hat er damit also seine innere Führung benutzen wollen? Nein, er hat die Lage seines Volkes gesehen, ist erst nach C gegangen und wurde dann nach B geführt. Die taoistische Weisheit zeigt das symbolisch dadurch, dass Lao Tse auf dem Stier reitet, und zwar, ohne die Zügel zu benutzen. Das Reiten bedeutet, dass er die die animalischen Kräfte gezähmt hat und die Herrschaft über sie besitzt. Zudem zeigt der Verzicht auf die Zügel, dass nicht er führt, sondern dass er sich führen lässt.

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Die Kirchen haben auf unterschiedliche Art und Weise versucht, die Bergpredigt-Inhalte der Widerstandslosigkeit zu umschiffen oder zu unterminieren. Sie vertreten zumeist die Position der Unerfüllbarkeit und leiten daraus verschiedene „Theorien eingeschränkter Gültigkeit“ ab.
Luther hat in seiner Zwei-Regimente-Lehre das Leben des Christenmenschen in zwei Reiche aufgeteilt, in das Reich Gottes und in das der Welt: Der Christenmensch lebe nun in beiden zugleich. Er solle für sich selbst die Widerstandslosigkeit gegenüber jedermann praktizieren. Falls er sich aber als Vertreter der Obrigkeit im Kampf gegen Böses befinde, solle er doch das Schwert führen (In: Von weltlicher Obrigkeit).
Die Katholiken bevorzugen die Beschränkung auf bestimmte Personengruppen und wollen diese Elemente auf die Geistlichen beschränkt wissen. (siehe Hilpert, K.: Zwischen Harmlosigkeit und Radikalität. Zur ethischen Rezeption der Bergpredigt.)
Wer die erbitterten Kämpfe der Kirchen betrachtet, und zwar gegen buchstäblich alles, was ihnen nicht in ihre Lehre passt, müsste schon zur Frage gelangen, wie sie mit dem Prinzip „Widerstrebet dem Übel nicht“ vereinbaren können. Da sind die dauernden Aus- und Abgrenzungen der Konfessionen gegeneinander, die Einmischungen in die Lebensabläufe der Menschen bis ins Intimleben, das Verteufeln der Sexualität, das „Entsorgen“ Hunderter Babyleichen in einer Abfallgrube im Horrorhaus der katholischen Nonnen im irischen Tuam, der vertuschende Umgang mit den unzähligen Missbrauchsfällen in den eigenen Reihen, dabei den Schutz der Organisation und der Täter über den Schutz der zu Tausenden und Abertausenden vergewaltigten Kinder stellend (Katholische Würdenträger in Pennsylvania; Schwarzbuch Evangelische Kirche), das Abgleiten aus spiritueller Orientierung in soziale Felder mit konfessionellen Daumenschrauben und vieles andere mehr. Jedenfalls werden sie mit dem Dulder Hakuin nichts zu tun haben wollen.
Was das Merkmal „Täterschutz über Opferschutz stellen“ betrifft, so zeigt die offenkundige Parallele zu den Dieselgate-Produzenten, dass es sich nicht um ein spezifisches Merkmal der einen oder anderen Gruppe handelt, sondern um das universelle Ego in der einen oder anderen Verkleidung. Auf allen Stufen der kirchlichen Hierarchien kann man sehen, was das Selbsterhaltungsprogramm in den Würdenträgern anrichtet.
Das Schwert stecken lassen
Das folgende Zitat – wahlweise Rosa Luxemburg, Che Guevara oder Bertolt Brecht zugeschrieben – ist weit verbreitet und das Credo für das Verneinen, anschließende Kämpfen und die grundlegende Zwietracht unter den Menschen: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
Dies gehört zu den Glaubensbekenntnissen des Ego und ist solchen Duldern wie Johanna, Jesus, Pater Kolbe, Mandela ein Schlag ins Gesicht und ein großer Irrtum in Bezug auf das Ziel eines harmonischen Zusammenlebens, weil es auf dem Prinzip des Zurückschlagens beruht.
Nicht kämpfen heißt nicht, nichts zu tun. Es ist im Gegenteil eine gewaltige Anstrengung, im Konfliktfall die Reaktion „Auge um Auge“ zu unterlassen und zu ertragen oder ggf. die anschließenden Kämpfe unter Führung seiner Seele aufzunehmen. Man stürzt sich nicht auf die Problemlösung, sondern auf den Problemlöser. Deshalb kann man das obige Zitat in die folgende Form zurechtrücken: Wer kämpft, hat sämtliche spirituellen Bezüge restlos verloren oder gar nicht erst gehabt und kennt nichts anderes, als dem Übel sehr wohl zu widerstehen.
Das Übel ist von meinem Bewusstsein abhängig, eine Oberflächenerscheinung und daher nur scheinbar. Deshalb werde ich nicht wie Petrus (in Gethsemane) zum Schwert greifen, weil ich weiß, dass Gott auch auf der anderen Seite ist. Wenn ich „das Schwert an seinen Ort stecke“ (Symbol für Gewaltlosigkeit), zeige ich damit, dass das, was mir da entgegensteht, Theaterdonner ist, eine Verlockung und/oder auch ein Check.
Keinen Widerstand zu leisten ist als erstes nicht eine Frage des Vorgehens, sondern der inneren Einstellung: Wenn man das Übel nicht als Übel auffasst und es als Wachstumsreiz bejaht und zugleich als Aufforderung zur Demonstration seiner Machtlosigkeit, dann kann man – durch aktives Handeln – sich für andere einsetzen und den Weg der Erlösung für die anderen aufzeigen. Das hat Buddha für die Menschen in seiner Umgebung getan und Jesus für die Juden und die Römer. Das waren die Initialzündungen für die weitere Ausbreitung ihrer Lehren.
Dasselbe hat Gandhi als Werkzeug der Seele für die Inder getan. Er hat erkannt, wie die praktische Umsetzung von Feindesliebe, Akzeptanz und dazu aktives Handeln – aber gewaltlos – aussehen kann. Das ist kein Widerstreben im Sinne von „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Es ist ein Unterschied, ob ich versuche, die Übergriffe des bösen Nachbarn mit Gegenmaßnahmen zu beantworten oder ob ich in ihm den Sohn Gottes sehe und auf dieser Bewusstseinsgrundlage die harmonische Lösung finde – dann ist es egal, ob mit ihm oder gegen ihn. Im ersten Fall ist es egogeleitetes Zurückschlagen, das immer zu Eskalation, Leid und Krieg führt und grundsätzlich auch auf mich durch Stress und Disharmonie zurückfällt. Wer auf Vergeltung setzt, vergrößert das Leid nur noch.
„Zaudre nicht,
zu kämpfen im gerechten Krieg
ist jedes Streiters erste Pflicht.“
(Bhagavad Gita II, 31)
Was „gerecht“ ist, entscheidet nicht mein Ich, sondern meine Seele: Dein Wille geschehe.“ Weil wie gesagt alles von Gott ist, sind mein Lungenkrebs, mein Konkurs, meine Einsamkeit einerseits Produkte meines bisherigen Bewusstseinszustandes und Widerstandes gegen diese Erscheinungen, andererseits Oberflächenphänomene, die substanziell machtlos sind und nur gegebenenfalls meiner eigenen Gegenmaßnahmen bedürfen. Einer der ersten, die die Widerstandslosigkeit – übrigens am Beispiel des Wassers – gelehrt haben, war Lao Tse:
„Weil er [der Vollendete] sich widerstandslos einfügt,
lebt er ohne Feindschaft und Widerstand.“
„Weil er nicht widersteht, widersteht ihm nichts.“
(Tao Te King 8;22
In der islamischen Mystik lautet das so:
„Bekämpfe nicht das Schicksal, sonst kämpft es gegen dich!“
(Rumi: Mesnevi I, 915)
In der dreidimensionalen Welt ist mein Verhalten reaktiv, d. h. ich reagiere auf derselben Ebene. Ich gehe von A nach B, zum Arzt, zum Insolvenzverwalter oder zum Rechtsanwalt, wenn es um Scheidungs-, Sorgerechts- oder Unterhaltsprobleme geht. Da ich in der materiellen Matrix von Gut und Böse bleibe, endet der Kampf entweder gut oder böse, eher das zweite, weil ich ja mit einem mangelorientierten Bewusstsein operiere.
Der Zustand unserer Welt ist das Resultat des Nicht-Duldens, des Aufbegehrens, des Verneinens und damit des Verbleibens auf der materiellen Ebene. Dieses Psychogramm des Ego ist die einzige Ursache für Ärger, Zwietracht, Unverständnis, Aggression, für alles Leid auf dieser Welt. Deswegen mahnt der Buddha den „Brahmanen“, also den Menschen auf dem spirituellen Weg:
„Schlage nicht! Wehr‘ dich nicht! Weh dem, der schlägt! Weh dem, der sich zur Wehr setzt!“
„Ertrage unschuldig Schimpf und Schande! Gebrauche das Dulden als scharfe Waffe!“ (Dhammapada 389, 399)
Gegen etwas kämpfen heißt: Wir schließen die eigene spirituelle Identität aus und verbleiben im Bereich von Gut und Böse. Kämpfe können ebenso gut ausgehen wie schlecht, was für Schlägereien ebenso gilt wie für Zivil- oder Strafprozesse, für Rosenkriege, Warnstreiks, Nachbarschaftsstreitereien, usw. In jedem Fall haben Kämpfe Sieger und vor allem Verlierer und ändern am Zustand der Welt nichts, weil sie auf der irdischen Ego-Ebene bleiben. Das ist seit Jahrtausenden unverändert zu besichtigen. Wer aber wie Luther King den „gerechten“ Kampf gegen das Übel führt, hat ein Bewusstsein der Fülle eines spirituellen Ideals, das es hier und jetzt durch ihn zu verwirklichen gilt. Wer auf der Ego-Ebene kämpft, hat ein Bewusstsein des Defizits. Er stürzt sich auf Symptome und bleibt damit Sklave seines Selbsterhaltungstriebes, dem er blind folgt. Die häufigste Strategie ist das Muster „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Das ist das genaue Gegenteil des „täglichen Ego-Sterbens.“
Wir werden in diese Welt der Rache und des Zurückschlagens hineingeboren und kennen keine andere Möglichkeit. Einen erheblichen Anteil daran haben die Religionen und Kirchen. Sie unterschlagen die Lehre der Gewaltlosigkeit, des Schwert-stecken-Lassens. Sie verkehren die Lehre des Evangeliums in ihr Gegenteil. Hat man je von einem Militärpfarrer gehört, dass er seinen Soldaten in zum Beispiel Afghanistan angeboten hat, auch für die Taliban zu beten? Wie verstehen sie denn dann das Gebot „Tut wohl denen, die euch hassen?“ Ein deutliches Beispiel für die Rolle der Kirche zeigt die Predigt des Wehrmachtspriesters zu Beginn des Films „Stalingrad“, in der er die Soldaten gegen den Feind aufhetzt. Gefühlt 99 % der Thriller-, Kriminal- und Dramafilme sind geprägt von Rache und Vergeltung. Es gibt keine der Nicht-Vergeltung, in denen das Schwert steckengelassen wird und Vergebung demonstriert wird? Wo bleibt hier die Gegenaufklärung der Kirchen?
Wenn Handeln geboten ist, kommt es darauf an, dies nicht wegen eines Ergebnisses zu tun, sondern einfach nur tätig zu sein. Denn da ich die Zielsetzung meiner Seele übergeben habe, brauche „ich“ als Person mich um das Ergebnis nicht zu kümmern, es ist ohnehin das der Seele. Wenn mir nahegelegt wird, einen Zivilprozess anzustrengen, gehe ich vor Gericht, ohne auf Sieg oder Niederlage zu achten. Auf sportliches oder geschäftliches Handeln übertragen bedeutet es absichtslosen „Werkfruchtverzicht“ (Gita IV,20), also handeln, ohne auf das Ergebnis zu achten. Es ist ja schließlich das Vorgehen der Seele und nicht „meins.“ Der Tennisspieler spielt dann nicht, um zu gewinnen, sondern um zu spielen bzw. die Spielführung der Seele zu überlassen. Den Beweggrund des dienenden Handelns anstatt der Fixierung auf das Ergebnis oder das Gewinnen beschreibt Hermann Hesse am Beispiel des Siddhartha in seiner gleichnamigen Erzählung im Kapitel „Bei den Kindermenschen“.
Wenn ich erkrankt bin, kämpfe ich nicht dagegen an, weil die Allmacht ja schon in mir ist und weil das Übel wie jede Erscheinung machtlos ist. Gesunden werde ich nicht durch Bekämpfen, sondern durch Übergeben an die Seele. Dann finde ich die geeigneten Wege, Maßnahmen und Personen, die als Werkzeuge dienen, um das Problem zu lösen, falls es sich nicht „von selbst“, also durch Bewusstseinsänderung, auflöst, was am Beispiel von Hakuin deutlich wird. Er kennt das Prinzip, das islamische Mystiker so beschreiben:
„So hat auch Gott Hiob und andere heimgesucht, aber sie haben nicht (!) darum gebeten, dass diese göttliche Heimsuchung von ihnen genommen werde.“
(Ibn Arabi: Die Weisheit der Propheten, Seth.)
„Ertrage den Schmerz …, damit du von den Schmerzen deiner niederen Natur gerettet wirst.“
(Rumi: Mesnevi I, 3014)