Drei Ebenen des Bewusstseins

Erste Ebene:

Ich schaue fasziniert einem Fußballspiel zu und fiebere mit. Dabei mache ich mir nicht bewusst, dass ich emotional reagiere, etwa schimpfe und juble. Ich verhalte mich so, weil ich einfach nur meinen Verstandes- und Gefühlsimpulsen folge, wie sie gerade kommen. Ich besitze zwar Urteilskraft, aber sie ist einseitig egoverhaftet und emotional dominiert. Sie ist faktisch so stark programmiert, dass es nicht zu echten Abwägungen kommt. So leben die weitaus meisten Menschen. Es ist die vom Selbsterhaltungstrieb komplett vereinnahmte Bewusstseinsebene der Personen. Sie folgen mit dem Verstand unserer biologischen Säugetier-Software. Die Menschen der ersten Ebene leben getrennt von ihrer wahren Identität. Sie sind Sklaven ihrer Triebseele, leben, wenn es hochkommt, nach ihrer Vernunft und doch nur „tierischer als jedes Tier.“ (Goethe: Faust I)

Der Unterschied des umnachteten Alltagsmenschen zum Tier ist aber immer noch das Potenzial des bewussten Seins und damit zumindest die Möglichkeit des Zugangs zur Entfaltung der Seelenkraft. Der Mensch weiß nicht nur, dass er existiert, sondern auch, dass er das weiß – zumindest im Prinzip. Zwar folgt der Verstand meist der Instinkt-Software; er kann aber zugleich auch eingesetzt werden, um deren materielle Grenzen aufzubrechen und für die Geistseele durchlässig zu machen. Das Tier hat diese Eigenschaft nicht.

Zweite Ebene:

In dem Moment, in dem ich gewissermaßen mir selbst über die Schulter schaue und bewusst registriere, was ich da eigentlich so denke, fühle und tue, befinde ich mich auf der nächsten Meta-Stufe des Bewusstseins, weil ich mich jetzt in einem Bereich befinde, in dem ich meine bislang unkontrollierten Gefühlsregungen und Gedankentätigkeiten beobachten, identifizieren und im Idealfall sogar kontrollieren kann. (Insbesondere der Buddha hat Notwendigkeit und Methode zur Beherrschung der Gedanken gelehrt.) Es bedeutet, einen Schritt zum Erlangen der verbesserten Herrschaft über mein Leben zu machen. Ich verbleibe zwar immer noch in der Herrschaft der Triebseele, habe mich aber durch Impulse der Geistseele einsichtig hin zum (erstmal menschlich) Guten bewegt.

Bei der Bewusstmachung meines Denkens und Handelns kommt die Vernunft ins Spiel, die zwar immer noch von Selbsterhaltung, aber zumindest in gewissem Maß von Selbstreflexion geprägt ist. Während ein Rechtsanwalt bedingungslos die Interessen seiner Mandanten vertritt und ein Staatsanwalt diejenigen der Strafprozessordnung, wird der Richter auf dieser Metaebene seine persönlichen Sichtweisen zurückstellen und im Interesse des Gesamtwohls, der Ordnung des Zusammenlebens und des gesellschaftlichen Friedens agieren. Hier sind auch viele anzusiedeln, die sich selbstlos für andere einsetzen wie Feuerwehrleute, Geistliche, Ordnungshüter, Mediziner, auch Umweltaktivisten, die sich gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen einsetzen oder Flüchtlingen helfen. Auf dieser Stufe findet schon der Beginn der Herzöffnung statt, der Empathie-Entwicklung, aber immer noch auf materieller Ebene wie unter anderem, warum Toleranz mir selbst nützt. 

Dritte Ebene:

Das Bewusstsein taucht in die non-duale Sphäre ein. Es geht hier um den Blick durch die Oberflächen hindurch auf die Substanz der Erscheinungen in Form der Zusammengehörigkeit der Menschen wie die der Finger an einer Hand. Es findet ein zunehmendes Erkennen der Gottessohnschaft und der Machtlosigkeit äußerer übler Umstände statt. Die Folge ist gelebte wahre Liebe. Das ist die Ebene der spirituellen Sucher, die ihrem inneren Drängen folgen. Sie haben ein Bein auf den fahrenden Zug gestellt, sie verlassen den Geltungsbereich des Karma, sie stellen sich unter die Gnade.

Basisbewusstsein E IFortschrittsbewusstsein E IISpirituelles Bewusstsein E III
VerstandVernunftIntuition
triebbegrenztdenkbegrenztunbegrenzt
ReaktionReflexionMeditation
ÜberlebenstechnikLebenskunstLebenslenkung
AußensichtSelbstkritikHindurchschau
Unterbewusstsein (Trieb; Geist)Ratio; Bauchgefühl, Beginn des HerzsehensBewusste Führung von innen im Dialog
LeistungHingabeErwachen
Ego-IchIch plus GewissenICH in mir
Ich-LiebeFreundesliebeFeindesliebe
Technischer FortschrittKultureller AufstiegGeistiges Erwachen
MaterialismusIdealismusSpiritualität

      Symbolisch stellt die jüdische Weisheit die drei Stufen der Bewusstwerdung als den Weg der Hebräer aus Ägypten dar: Von der Sklaverei des Triebs über deren Verlassen und den Übergang ins rein menschliche materielle Gute bis hin zur Erhebung ins Bewusstsein des „Gelobten Landes“, des geistig absolut Guten des individuellen ICH BIN.
Die dritte Ebene des Bewusstseins ist das Gegenteil von allem, was uns von Kindheit an gelehrt wurde.

Unser animalisches Erbe des Egobewusstseins ist der Ausgangspunkt für die Höherentwicklung. Es musste erst einmal aufgebaut werden, um das Bewusstsein für die Alternative entwickeln zu können. Kein Schmetterling ohne Raupe. Die Asche ist die Grundlage für Neugeburt und Aufstieg des Phönix. Aus dem Verbrennen der eigenen Egozentrik erwächst das Selbstbewusstsein des anti-egozentrischen göttlichen Ebenbildes.  
      Die Auseinandersetzung mit dem Ego und sein Erkennen sind die Merkmale der zweiten nächsthöheren Bewusstseinsebene. Diese zu beherrschen eröffnet wiederum den Einstieg in die dritte Ebene. Man kann ein mehrstöckiges Haus auch nicht ohne Erdgeschoss bauen. Das leitet sich ab aus dem Prinzip der Gegensätzlichkeiten: Ohne irdische Krisenerfahrung ließe sich keine Herauslösung aus ihr denken. Und diese Befreiung aus dem Leid ist das entscheidende Merkmal für die Rückkehr des Menschen „zum Vater“ (Lk. 15,18), in den „Garten Eden zum Baum des Lebens“ (Gen. 3, 24) als letztendlichem Sinn des irdischen Lebens.   

Das Phönix-Symbol zeigt: Das tägliche „Sterben“ des Selbsterhaltungsprogramms führt zu seiner Asche, d. h. zu seiner Liquidierung. Diese wiederum ist der Nährboden für den Neuansatz, das spirituelle Bewusstsein, die Hindurchschau. Aus der Asche des materiellen Bewusstseins erhebt sich der Vogel. Er ist das Symbol für ein Wesen, das fliegen, sich also von der Fesselung an den Boden befreien kann – als Gegenteil zur Schlange, die an die Erde gefesselt ist. Dann führt der Phönix verjüngt ein neues materielles Leben auf einer höheren Bewusstseinsebene. Unsere Welt ist ein Lern- und Läuterungssystem. Ohne Unvollkommenheit aufgrund der „Vertreibung aus dem Paradies“ gibt es kein Wachstum in Richtung Vollkommenheit.

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Phönix; iStock 1297154921

Die ersten beiden Ebenen entsprechen dem Zustand, den die naturwissenschaftliche Psychologie als Bewusstsein bezeichnet. So wären Schlaf- oder Rauschzustände noch Funktionen dieses Verständnisses von Bewusstsein: Die Aufnahmebereitschaft der Sinnesorgane ist zwar weitestgehend reduziert und damit die Urteilskraft kaum noch vorhanden; sie ist jedoch nicht völlig ausgeschaltet. Insgesamt stellen beide Stufen aber das Bewusstsein des animalischen Menschen dar. Die Psychologie kennt das Bewusstsein des spirituellen Menschen nicht (Ebene III), das über die beiden ersten Zustände hinausreicht und als Bauchgefühl oder Intuition sowie gelegentlich als spirituelle Zwiesprache (wie Odysseus mit der Göttin Athene) in einen höheren Bereich reicht.

Dieses geistige Bewusstsein ist auch dann da, wenn man bewusst“los“ ist. Man kann es nur nicht registrieren. Das kann man an Nahtoderfahrungen ersehen. Hier können Patienten nach ihrem klinischen Tod und der Rückkehr wiedergeben, was neben ihnen während ihrer Bewusst“los“igkeit gesprochen und getan wurde. Dieser Begriff von Bewusstsein unterscheidet sich von der rein materiellen Gefühls- und Verstandestätigkeit der Psychologie. Beim spirituellen Verständnis ist mit Bewusstsein die über den Verstand hinausgehende Seelentätigkeit gemeint. Insofern hatten auch die ersten Exemplare des Homo Sapiens so gesehen bereits vor Jahrtausenden Bewusstsein.

In dieser Hinsicht ist das Bewusstsein (nach John C. Eccles: Wie das Selbst sein Gehirn steuert) eine eigene Seinsform, die den Menschen erst zum Menschen macht. Sie ist vom Körper getrennt und gehört nach dem Ablegen des Körpers der feinstofflichen Welt an. Unter diesem Aspekt gehört das Bewusstsein der dritten Ebene also zu unserer Seele.

Alles, was wir stabil zu unserem Bewusstseinsinhalt machen, wird zu Wirklichkeit. Die christliche Weisheit lehrt das mit Jesu Heilungen und Speisungen, vor allem mit der Speisung der Fünftausend: „Er sah auf zum Himmel.“ Mit solchen Botschaften wie „euch geschehe nach eurem Glauben“ zeigt er deutlich die Funktion der Aufladung des Bewusstseins. Das gilt grundsätzlich, sowohl für Gut wie für Böse. Wenn man sich für die paradiesische Richtung entscheidet, lässt man sich nicht von den Formen blenden und konzentriert sich auf das unsichtbare Prinzip. Dieses Prinzip ist das der Eigenverantwortung und nicht das herrschende Opferbewusstsein. Ich bin nicht Objekt der herrschenden Verhältnisse – also zunächst meiner mikrokosmischen, sondern ihr Gestalter. Ich kann alle mich umgebende Verhältnisse mir „untertan machen“, sofern ich nicht egoselbst versuche, sie nach meinen Vorstellungen zu formen, sondern es dem „Vater, der die Werke tut“, anvertraue.

Jesus versucht nicht, den Irrtum, also den Mangel an Versorgung, zu bekämpfen, sondern lädt einzig und allein sein Bewusstsein mit Vollkommenheit trotz aller Mängel auf der Formenebene auf und überlässt dann seiner inneren geistigen Substanz die Verwirklichung. Er setzt göttliche Macht nicht ein, er lässt sie durch, er bringt sie zum Ausdruck, zur Entfaltung, zur Formgebung. Er betont, dass „der Vater in mir die Werke [tut]“, wodurch er immer nur die geistige Führungsebene zeigt.

Konkret: Angenommen, jemand wächst in einem Elendsviertel auf, lässt sich aber – wahrscheinlich unbewusst – nicht vom Mangel beeindrucken und führt sein Leben des Dienens, Helfen und Liebens in einem Bewusstsein der Fülle. Dann hat er auch materiell keinen Mangel. Das kann man immer wieder mal beobachten, auch wenn es selten ist. Eine Steigerung wäre, ein solches Leben auch noch im klaren Bewusstsein der Allmacht im Innern zu führen.

Dadurch kommt zum Ausdruck, dass wir Eigentümer des göttlichen Erbes sind. Damit ist die Prinzipienebene gemeint, also die Aufladung mit Fülle oder Mangel und vor allem mit – demütiger – Macht. Man kann, wie Paulus das ausdrückt, entweder auf das „Fleisch“ oder auf den “Geist“ setzen (Gal. 6,8). Worauf die Menschen setzen, ist offensichtlich. Um uns herum sind nach unserem Glauben Feinde, weil wir das Bewusstsein von Feinden haben. Das Bewusstsein von Feinden haben wir, weil wir des „Vaters Hof“ verlassen haben. Was uns persönlich geschieht, ist die Folge der Ausrichtung unseres Bewusstseins auf Geist oder Fleisch. Insofern ist unser Bewusstseinsinhalt der Gesetzgeber für unsere Lebensinhalte. Materie ist die Form von (Gottes) Bewusstsein. Das bezieht sich einmal auf die Schöpfung, die durch den göttlichen Geist zum materiellen Universum und zum Leben wurde. Es bezieht sich ebenfalls auf die Zustände dieser Schöpfung durch den menschlichen Geist, geprägt von eben Gut und Böse. Deshalb gibt es erfolgreiche Verbrecher und gescheiterte Heilige. Wir haben es bei unseren Problemen nicht mit unserer äußeren Umgebung zu tun, sondern mit unserem eigenen Bewusstseinszustand. Uns „geschieht nach unserem Glauben.“ Nur ist das keinem klar, der oberflächlich von Zufällen, Schicksal, Pech, Verkettung unglücklicher Umstände oder von Feinden redet und sich deshalb sofort als Opfer sieht, obwohl er der unbewusste (!) Verursacher seines Leids ist. Entsprechend ist der Zustand unseres Planeten ein Produkt unseres Bewusstseins: Seine Außenverschmutzung ist Resultat unserer egozentrischen Innenverschmutzung des besinnungslosen Selbsterhalts. Das gilt für alle fürchterlichen Armuts-, Elends-, Terror-, Folter- und Massenmorderscheinungen in unserer Welt, von Obdachlosigkeit über Townships bis hin zum Völkermord. Der Selbsterhaltungsgrund gilt für die Beherrschten und die Herrschenden. Mit dem Bewusstsein der ICH BIN-Identität auf beiden Seiten und der damit verbundenen Feindesliebe, die die Einheit herstellt, kann es all den Schrecken nicht mehr geben.

Eine solche Vorstellung kollektiv für die Gesamtheit der Menschen anzunehmen ist erst einmal illusorisch, aber für den persönlichen Mikrokosmos, die persönlichen Lebensumstände ganz im Gegenteil außerordentlich realistisch. Dieser ist durch geistiges Bewusstsein formbar wie Knetgummi.

Den Kirchen ist diese Perspektive trotz der unmissverständlichen Lehre Jesu im Gleichnis vom Verlorenen Sohn unverständlich, und deshalb verschieben sie den Ausweg aus dem Jammertal-Zustand wie im Mittelalter in die Zeit nach dem Tod. (Diese und überhaupt alle sonstigen hier vorgebrachten Kirchenkritiken sind dennoch nicht mit Groll oder Feindseligkeit verbunden – im Bewusstsein, dass „alles von Gott kommt“ (Jakob Böhme). Die Bestimmung der Kirchen ist die Versuchung, die „stets das Gute schaffen“ soll.)

Natürlich werden wir in eine Welt der Unvollkommenheiten und des Leidens hineingeboren, und deshalb erachten wir dies unbewusst als fraglosen Status Quo, bedingt durch Formung von außen. Aber der Eintritt in den Bereich „ohne Daseinsleid“ (Dhammapada 347) hängt nicht ab von den Zuständen bzw. Unvollkommenheiten der äußeren Welt, sondern von denen der inneren. Außer den Weisheitslehrern wissen eher wenige, dass wir mit der Fähigkeit, unser Schicksal substanziell zu lenken, ausgestattet sind. Es bedeutet, dass wir immer noch die Freiheit der Wahl haben, uns für den „Baum des [ewigen] Lebens“ zu entscheiden, anstatt für den „Baum von Gut und Böse.“