Eine Klientin berichtet: Während eines Termins beim Frauenarzt diagnostiziert dieser Knoten in der Brust. Eine Gewebeuntersuchung ergibt eine fortgeschrittene Erkrankung (Tumor) mit umfassender Verbreitung von Metastasen. Bei weiteren Terminen gibt man ihr eine Lebensdauer von nur noch etwa sechs Monaten. Sie kündigt ihren Arbeitsplatz und wirft ihren untreuen Ehemann raus. Auf Grund ihres Kraftverlustes kann sie sich nicht mehr um den Haushalt kümmern, aber da ihre Tochter gerade arbeitslos geworden ist, übernimmt diese die anfallenden Hausarbeiten. Sie legt sie sich aufs Sofa und beginnt die Bibel zu lesen.
Nach einem Vierteljahr sind alle Knoten und Metastasen verschwunden. Die Ärzte zucken ungläubig mit den Schultern, kommen aber am Resultat nicht vorbei und verwenden den Begriff „Spontanremission.“
Danach nimmt sie eine neue Tätigkeit auf, die aus dem Management von spirituellen Veranstaltungen besteht: Sie verwaltet die Termine spiritueller Lehrer und organisiert deren Seminare bzw. Vorträge.
Der berühmten Parabel vom Gelähmten (Joh. 5) kann man einen aufschlussreichen Befund über den Charakter der Lähmung entnehmen. Jesus sagt zum Gelähmten:
„Was hindert dich? Steh auf, nimm dein Bett und geh!“
Die Krankheit scheint von etwas abhängig, also bedingt zu sein. Ohne eine äußere Aktion – abgesehen von der Frage, ob er gesund werden wolle – steht der Kranke tatsächlich auf. Er hat solange, also 38 Jahre, seine Heilung davon abhängig gemacht, dass von außen Heilung durch Helfer kommt, was aber bislang nicht geschehen ist. Vom Nazarener wird ihm klar gemacht, dass die Überwindung seines Leids nicht von außen kommt, sondern innerlich in ihm ist und nur hätte aktiviert werden müssen.
Die Hinweise, dass das Übel, Krankheit, Diktatur, Terror, Schicksalsschlag, usw. nicht die Macht sind, als die sie erscheinen, sind vielfältig:
Literatur: Goethe lässt den Teufel über das „tugendreiche“ Gretchen, das soeben von der Beichte kam und dort auch so gut wie nichts zu beichten hatte, bedauernd sagen:
„… über die hab ich keine Gewalt.“
(Faust I, Kap. 10: Straße)
Epos: Die Leidensgeschichte der antiken Dramenfigur Odysseus wird durch göttliche Lenkung gestaltet. Das konkrete Böse, unter anderem in Gestalt des einäugigen Zyklopen Polyphem, dem Sohn eines Gottes, martert den Helden unablässig, kann ihn letzten Endes aber nicht bezwingen und hebt ihn durch die siegreichen Kämpfe auf eine höhere Bewusstseinsstufe. Hinter den Übeln steckt Meeresgott Poseidon, der Bruder des Götterfürsten Zeus. Weiterhin können Homers Sirenen dem Helden einfach nichts anhaben, solange er sich nicht in ihren Wirkungsbereich begibt. Dieser Bereich ist der Glaube an ihre Macht.
Märchen: Der Teufel – oder böse Dämon – explodiert, wenn man den Code (!) zu seiner zerbrechlichen Identität kennt (Rumpelstilzchen). Oder er ergreift die Flucht aus demselben Grunde wie bei „Der Teufel und seine Großmutter.“
Schneewittchen kann vom vergifteten Apfel nicht getötet werden.
Philosophie: Der antike Geistesriese Platon äußert sich über das Böse:
„Der Weg, [ … sich dem Bösen zu entziehen …] ist die Angleichung an das höchste Gut, jenes, dem das Böse nichts mehr anhaben kann und in dessen Wirkungsbereich es machtlos (!) ist…“ (Theaitetos 177b)
Mythologie: In der nordischen Siegfriedsage ist der Drachentöter (Drache als Symbol für das Übel, das Böse, die Schlange, den Teufel, usw.) unverwundbar, nachdem er im Drachenblut gebadet hat. Es zeigt, dass er Herr über das Übel hätte werden können, mit der Unverwundbarkeit als Folge.
Jüdische Weisheit: Sie kennt eine ganze Reihe von symbolischen Geschehnissen und Bedingungen, in denen das Böse keine Macht hat:
Es sind bei Daniel die Männer im Feuerofen, die unversehrt herauskommen (Daniel 3). |
Es ist Hiob, in dem der Teufel ein Diener Gottes ist, der Hiob prüft, indem er ihm alles nimmt; dabei bleibt Hiob aber letztlich unversehrt und erhält alles Verlorene mehrfach zurück. |
Es sind auch die Öffnung des Roten Meeres für Mose und die Vernichtung des Übels (in Gestalt der Armee des Pharao) im letzten Moment. |
Es ist auch die bekannte Geschichte von David und Goliath, in der der Steppke den schwerbewaffneten riesigen Krieger mit einer Zwille (Symbol für Gedankenkraft wie die Pfeile bei Odysseus) besiegt. |

Rembrandt: David and Goliath. 1655
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Besondere Aussagekraft haben Psalm 23, in dem der Betreffende kein Unglück zu fürchten braucht und Psalm 91 deshalb, weil hier die Bedingung für die Immunität gegenüber den materiellen Anfechtungen angedeutet wird:
„Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen.“ … Das betrifft diejenigen, die „… unter dem Schirm des Höchsten…“ sind.
Buddhismus: Der Palikanon gibt Auskunft über den Charakter des Bösen, hier in der Gestalt von Mara, dem „Leidverursacher.“ Es sind die Sutta Nipata III,2 und dann die folgende Samyutta Nikaya:
„Da begab sich Mara, der Böse, in dem Wunsch, bei dem Erhabenen Angst, Zittern, Hautschaudern hervorzurufen, dahin, wo sich der Erhabene befand. …
Unweit vom Erhabenen rief er wechselnde Glanzerscheinungen hervor, sowohl schöne wie auch hässliche.
Aber der Erhabene wusste, dass das Mara, der Böse sei, und er redete ihn an:
„Umherirrend im Kreislauf der Geburten lange Zeit, hast du schöne und hässliche Gestalt angenommen.
Genug nun damit, du Böser, du bist geschlagen, Todbringer! Die da in Tun, Worten und Gedanken gut beherrscht sind, die sind dir nicht gefügig, Mara, …“
Da merkte Mara, der Böse, es kennt mich der Erhabene, es kennt mich der Führer auf dem Heilspfad, und verschwand auf der Stelle leidvoll und betrübt.“
(Mara Samyutta, 1.4.3.)

The dragon, image, and demon. 1887, DuBose, Hampden
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Der Buddha sagt damit, dass derjenige, der das Böse (er)kennt, d. h. sich dessen prinzipiellen Charakters der Nichtigkeit bewusst wird, immun gegen etwaige Folgen geworden ist, so dass das Übel „betrübt verschwinden“ muss. Mara ist das Symbol für alles, was Leid verursacht.
Hinduismus: In der Bhagavad Gita spricht Krishna zum Suchenden, indem er sich als Herr über Leben und Tod offenbart:
„… wer … sein Tun der Gottheit weiht, wird durch das Böse ebenso wenig berührt wie das Lotosblatt vom Wasser.“ (5,10)
Islam: Die Sufis setzen „iblis“, den Satan, mit den niederen Trieben, den „nafs“ gleich. Diese sind das Gegenstück zu „ruch“, dem Geist, der göttlichen Seele im Menschen. In der gesamten theologischen Geschichte des Islam hat Satan keine unmittelbare Macht über die Menschen erhalten. Er kann nur versuchen, sie zu Bösem zu verführen wie auch die Schlange in der Schöpfungsgeschichte oder die Sirenen in der Odyssee. Er bleibt ein Teil Gottes wie Mephisto in Goethes Faust.
Muhammad Iqbal bringt in seinem Werk „Javidnama“ die Rolle des Versuchers auf den Punkt, indem er ihn als diejenige Kraft bezeichnet, die den Menschen letztlich dazu bringt, sich höher zu entwickeln. Adam hört auf, mit eingeschränktem Bewusstseinsstand sein Leben zu fristen, sondern lernt, unter Leidensdruck zu kämpfen, das Böse zu überwinden und sich so zur Vollkommenheit zu erheben, die er im Paradies infolge seines eingeschränkten Bewusstseins – er kannte nichts Böses – nicht vollständig hatte. Bei Iqbal jammert der Satan darüber, dass ihm die Menschen einfach zu viel gehorchen. Es macht ihm keinen Spaß mit solch einer Unterforderung. Er möchte mit jemand auf Augenhöhe kämpfen, der ihn endlich einmal überwinden könnte. Vor diesem würde er sich niederwerfen.
(Annemarie Schimmel: Muhammad Iqbal zwischen Poesie, Philosophie und Politik.)
Taoismus: Der Meister der altchinesischen Spiritualität, Lao Tse, spricht das Problem mit der äußeren Macht auf seine unverwechselbare Art an. Er nennt die Folgen der Erkenntnis ihrer Ohnmacht:
„Den Weisen, des Innengottes gewiss, kann keine äußere Macht halten,
und keine Gewalt kann ihn vernichten.“ (50)
„Weil er, Meister des Lassens, allen zugetan ist, kann ihm niemand etwas antun.“ (66)
Kinderliteratur: In seinem berühmten Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ beschreibt der Autor Michael Ende Herrn Tur-Tur, einen Scheinriesen, der riesengroß ist, wenn man weit von ihm entfernt ist, der aber, wenn man sich ihm mutig nähert, sich also nicht vom Anschein täuschen lässt, zusammenschrumpft und seine gewaltige Größe verliert.
Film: In „Matrix“ gelingt es dem Protagonisten Neo, dem „Auserwählten“, das Böse in Form der mit außergewöhnlichen Kräften ausgestatteten „Agenten“ durch seine spirituelle Entwicklung zu überwinden. Durch sie kann er zunächst ihren Geschossgarben ausweichen, später schon ihren Kugeln Einhalt gebieten und schließlich geht er in die direkte Konfrontation mit ihnen und dringt sogar in sie ein, leitet also einen Verschmelzungs- oder Einheitsvorgang ein, um dadurch ihre Ohnmacht zu zeigen und zersprengt sie.
(Das Motiv des Verschmelzens mit dem Bösen ist Bestandteil vieler kultureller Überlieferungen und basiert auf der Erkenntnis der Einheit mit dem „Feind.“ Es beginnt vor mehr als vier Jahrtausenden mit dem altmesopotamischen Schöpfungsmythos Enuma Elisch, in dem Gott Marduk seine spirituelle Kraft in das drachenartige Ungeheuer Tiamat eindringen lässt und es so zerreißt. Im Märchen findet man, dass Rotkäppchen vom bösen Wolf verschlungen wird und dennoch unbeschadet aufersteht. In der Gegenwart lässt sich Agent K in „Men in Black I“ vom Monster verschlingen, sprengt es dadurch auseinander und trägt so den Sieg davon. Überhaupt ist das Thema der Vereinigung mit dem Bösen durch inneres (!) Nicht-Bekämpfen und Nicht-Flüchten zentraler Punkt der gesamten christlichen Lehre. Dabei wird das Böse insgesamt nicht abgeschafft, sondern zerbröselt eigens vor denjenigen, die sich ihm in den Weg stellen.)
Das gewaltige Wort zum Thema „Ohnmacht des Bösen“ äußert der vor Pilatus stehende Jesus, indem er dem römischen Machthaber seine Grenze aufzeigt:
„Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre …“
All diese Quellen bringen etwas zum Ausdruck, was im alltäglichen Leben absurd zu sein scheint. Jeder weiß um die Machtmöglichkeiten von Vorgesetzten, Administrationen, Konzernen, Gerichten, wir wissen um die Macht von terroristischen Organisationen und ihren Attentaten, und manche kennen noch aus Erfahrung die Macht von Geheimpolizei und Militär. Jeder hat aus eigener Erfahrung Berührung mit der Macht schwerer Krankheiten gehabt, und darüber hinaus kennen wir aus der Geschichte und den Massenmedien die ungeheuren Wirkungen von epidemischen Erscheinungen wie AIDS oder Coronaviren. Wie also kann es sein, dass der Weisheitsschatz der Völker vom Leid und vom Bösen behauptet, dass dieses zwar existent sei, aber nicht die Macht habe, von der wir zu wissen glauben, dass es sie habe? Das soll allerdings nur gelten für „Tugendreiche“, „Drachentöter“, „listenreiche Dulder“, „Knaben mit einem Katapult“, „Rechtgläubige“, „Menschen ihres Innengottes gewiss.“
Einige Weisheitsaussagen gehen also über die Ebene der Behauptung hinaus und lassen erkennen, welche Bedingungen für diese ungeheuerlichen Behauptungen gelten.
Um dem Charakter des Übels einen Schritt näher zu kommen, lohnt sich ein Blick in die Etymologie: Im Althochdeutschen hat das Böse „bosi“ die Bedeutung „aufgeblasen, aufgeschwollen“, was heute noch in den Wörtern oder Wendungen wie „in Bausch und Bogen“ oder „Pausbacken“ zu finden ist. Der Kern der Bedeutung ist, dass das Phänomen sich umfänglicher und schlimmer zeigt als es in Wirklichkeit ist, ein Scheinriese eben. Dennoch kann sich niemand vorstellen, dass etwa die Diagnose „Magenkrebs“, die man soeben erhalten hat, irgendetwas mit Scheinbarkeit und heißer Luft zu tun haben könnte. Vielmehr ist das erst einmal harte physische Realität, und niemand käme auf die Idee, darüber hinweg zu sehen, einfach aufzustehen, sein Bett zu nehmen und zu gehen.
Bei genauerer Betrachtung des Krankseins ist zunächst einmal das Prinzip „Wie innen, so außen“ von Bedeutung, d. h. das, was dominant in unserem Bewusstsein ist (besser: was wir dazu machen), manifestiert sich auf Grund seiner schicksalsbildenden Kraft in unserer Umgebung (siehe Kapitel 10).
Das Gegenstück zu den ständigen Angst- und Sorgegedanken ist ein Bewusstsein, in dem keine negativen Attacken Platz haben, keine Ängste, keine Sorgen, keine Wut, keine Gier, nur Aufgehobenheit unterm Schirm: „… mir wird nichts mangeln.“ Das gilt auch in Pandemiezeiten.
Krankheit ist eine Erscheinung, die – abgesehen von Kinderkrankheiten – eine Verstimmung der Seele anzeigt, sozusagen eine Abweichung von Vollkommenheitsstatus der Seele. Unsere grundsätzliche Identität ist Seele, deren Erscheinungsform unser Körper. Das Symptom Krankheit ist ein Signal der Nichtübereinstimmung unserer Hard-und Software (Physis und Psyche) mit dem Kurs der Seele. Wenn man diese Ursache erkennt, kann man die Auswirkungen, also die Symptome, nachhaltig beseitigen. Entsprechend geht Jesus in der symbolischen Begegnung mit dem Gelähmten vor. Entsprechend gehen geistige Heiler vor, die sich auf den seelischen Hintergrund konzentrieren und daraus die Beseitigung der Symptome ableiten. Das ist die Crux der Schulmedizin, die im Wesentlichen Heilung als Symptomunterdrückung versteht und nicht verhindern kann, dass Kranksein als solches verschwindet.
Vollkommenheitsbewusstsein und substanzielle Gesundheit können nur erreicht werden, wenn man sich dem Einströmen der Seele öffnet. Wenn das „Trachten“ dominiert, also die Konzentration auf die eigene göttliche Identität, ist für Sorge, Angst, Wut und Gier kein Platz mehr. Nur so können solche erst einmal unwahrscheinlichen Ziele wie Sorgenfreiheit, Gesundheit, Wohlstand, zwischenmenschliche Harmonie, Seelenruhe, Furchtlosigkeit vor dem Übel und Feindesliebe richtig verstanden und erreicht werden. Auf der irdisch-psychischen Ebene – wie z. B. mit positivem Denken – funktioniert das nicht. Wir haben unsere Herrschaft durch Unwissen abgegeben an die Unfälle, die Einbrecher, die Krankheitserreger, die Konjunkturschwankungen, die Regierungen, die Amokläufer, die Attentäter, usw., kurz, an Herrschaft von außen, obwohl sie in uns ist. Durch Bewusstseinswandel verneinen wir jedoch jegliche Macht äußerer Instanzen – auf mich – und übertragen sie zurück an ihren eigentlichen Ort, unser Inneres. Und dass sie als Überzeugung dort wirksam ist, wenn auch unbewusst, zeigt sich in ihrer negativen Ausformung, als Krankheit, Ehehölle, geschäftlicher Zusammenbruch, usw., zusammengefasst: durch fehlende spirituelle Einbettung.
Insofern ist nicht das Böse die Macht, sondern die Ausrichtung des Bewusstseins auf Böses sowie der Glaube an das Böse, das nur ein Provokateur ist wie der Teufel in der Wüste. Glaube ich aber daran, wird es durch die Schöpferkraft des Bewusstseins real. Das verführte (!) Bewusstsein ist die Ursache von Bösem und das reale Böse ist dessen Wirkung. Wir selbst sind also die Schöpfer der Macht des Bösen, weil wir darauf hereinfallen. Wer sich von drohender Unterhaltszahlung, Jobverlust, Krebsdiagnose oder Konkurs einschüchtern lässt, wird reales Opfer dieser Drohungen: „Was ich fürchtete, ist über mich gekommen“, klagt Hiob. Es ist eine Sache der Vorstellung bzw. Phantasie. Jesus sprach den äußeren Erscheinungen (Tod des Lazarus, Bettlägerigkeit des Gelähmten, Pilatus, usw.) ihre Macht ab. Dasselbe können wir mit Corona, Diabetes, Anorexie, Hypertonie, usw. machen. Ändere ich aber die Ursache, verändert sich die Auswirkung. Die Erkenntnis ändert das Bild aber nicht schlagartig. Die Bedrohung lässt sich Zeit und gibt nur zögernd nach. Ihre prinzipielle Ohnmacht heißt auch nicht, dass man nicht von ihr „verschlungen“ werden kann. Aber letztlich kommen wir unversehrt aus dem Feuerofen, weil wir die wiedergewonnene Einheit mit unserer geistigen Führung nicht wieder hergegeben haben.
„Wer festhält die Vollkommenheit [Selbsterkenntnis der eigenen Göttlichkeit, der Einheit mit der Seele], giftige Schlangen stechen ihn nicht.“
(Tao Te King, 55)
Das menschliche Drama auf diesem Planeten besteht im Missverständnis der vielfältigen Hinweise in den Weisheitsschriften, denn das Böse wie Unfall, Armut, Krankheit, Feindschaft und Krieg gibt es tatsächlich als Prinzip überhaupt nicht. Es existiert nur als Bild, als Verführung. Es existiert nur als Provokation, an der Schöpfungsidee zu zweifeln. Das Böse dieser Welt gibt es nur, weil die Menschen sehen und glauben, dass es Böses in dieser Welt geben kann und sich auch zeigt.
Anders ausgedrückt: In dem Moment, in dem ich das Böse lediglich als Erscheinung erkenne, die versucht, irrezuführen, und zwar aus dem Grund, dass es nicht Bestandteil der Schöpfung sein kann, kann es für mich nicht Wirklichkeit werden und muss sich auflösen. Wenn ich jedoch glaube, dass es mich real bedrohen und mir gefährlich werden kann, entfaltet es seine furchtbare Zerstörungsgewalt.
Homer hat diesem Sachverhalt die unsterbliche Gestalt der Sirenen verliehen, die keinem etwas tun können, solange er sich nicht in ihre Fänge begibt. Goethe hat der Versuchung durch die Schlange die Form des Mephisto gegeben, der vom „Herrn“ die Aufgabe erhalten hat, zu versuchen, Faust von der Suche der Nähe zu Gott abzulenken. Der Doktor soll in den Abgrund des entspiritualisierten, rein materiellen Glaubens geführt werden. Mit anderen Worten hat Mephisto überhaupt nicht die Macht, Faust vom Erlösungsweg abzubringen, er kann ihn nur dazu verleiten. Folgerichtig beschränkt Goethe das „Schaffen“ des Teufels auf das „reizen“ (Prolog im Himmel). Mephisto kann selbst nichts Böses anrichten, Faust muss schon selbst zum Täter werden. Wenn er Mephisto ignorieren und nichts Böses, Ängstliches oder Gieriges denken würde, könnte nichts Böses geschehen.
Auch in der Märchenwelt ist nicht ohne Grund das Verführungsthema reichlich vorzufinden, ob nun bei Rotkäppchen, dem Wolf und den sieben Geißlein, bei Brüderchen und Schwesterchen, bei Hänsel und Gretel, beim Bärenhäuter, beim Teufel und seiner Großmutter, bei Schneewittchen und manchen anderen. Die Verlockung findet sich auch in mittelalterlichen Epen wie etwa im Parzival während seiner Kindheit. Aber bei all diesen Zeugnissen mit spirituellem Kern geht es nicht nur um Verführung und damit um Abweichung vom Weg zur geistigen Identität, sondern um ihre Folgen und vor allem um ihre Ohnmacht, wenn man ihr widersteht: Die böse Schwiegermutter kommt eben nicht zum Ziel, Schneewittchen zugrunde zu richten.


Wenn der Buddha – wie übrigens auch Agent Smith im Film „Matrix I“ – die Welt als eine des Leids versteht, so beschreibt er das Symptom. Aber prinzipiell ist sie „nur“ eine der Verführung zum Leid. Durch die Verführung soll der Mensch das Ziel „DEIN Wille geschehe“ ignorieren und die Ego-Abweichung „Mein Wille geschehe“ verwirklichen – nur deswegen gibt es Kriege. Er soll das Böse als unabhängig gegebenen Bestandteil der Wirklichkeit und als unveränderlich hinnehmen. Die Verführung soll uns dazu bringen, unsere Welt für objektiv zu halten, anstatt ihre Abhängigkeit von unserem Bewusstsein zu erkennen. Und wir sollen keinesfalls die Machtlosigkeit des Bösen erkennen.
Aber das Übel bzw. das Leiden ist zugleich auch Instrument des Ausweges aus dem Jammertal.
Der Satz aus dem Vaterunser „Und führe uns nicht in Versuchung“ ist für den spirituellen Menschen widersinnig. Eine sinnvolle Version wäre „Und führe uns in der Versuchung.“ Denn ohne qualvolle Versuchung, vom Kurs der Seele abzuweichen, fänden wir nie und nimmer den Weg aus der Welt der Oberfläche in die der Wahrheit der Prinzipien zurück. Wir würden leidend unser Leben linear vertun ohne jegliche Aussicht auf Weiter- und Höherentwicklung. Das Leid ist die Peitsche, uns zurückzutreiben.
Wenn der Feind als Prozess-, Konkurrenz- oder Scheidungsgegner seine Artillerie auffährt und ich reagiere, wird es Krieg geben; wenn ich hingegen diese Drohung als Theaterdonner auffasse, weil ich weiß, dass alles von Gott kommt und der Feind mein Nächster ist und genauso Ausdruck der göttlichen Seele in uns ist, gibt es unterm Strich Frieden. Wenn ich versuche, meinen Unterhaltsverpflichtungen zu entgehen, weil ich die Verantwortung der Seele für meine Versorgung nicht kenne, wird mich der Arm des Gesetzes irgendwann erwischen; wenn ich aber diese scheinbaren Einschränkungen in meinem Haushaltsbudget achselzuckend hinnehme und auf meine göttliche Versorgung vertraue (siehe Kapitel 9), wird das Niveau meines Lebensstandards uneingeschränkt gleichbleiben.
Die Sinnfrage des menschlichen Lebens kann nur mit dem Erkennen des wahren Charakters des Bösen gelöst werden. Es täuscht Macht nur vor. Wir werden versucht, verlockt, verführt, an das Böse zu glauben anstatt auf den Schutz unseres Innengottes und die Versorgung durch ihn zu bauen. Die geistige Realität mit ihren Gesetzen überlagert die materielle, so wie Bundesgesetze Landesgesetze brechen (siehe die hessische Landesverfassung, in der noch die Todesstrafe verankert ist). Wir leben in einer Welt, in der die meisten Menschen die eingebettete Verführung akzeptiert haben. Aber wie hätte Jesus lehren können, der Krankheit ins Gesicht zu lachen, einfach aufzustehen und wegzugehen. Er hat versuchte übrigens auch nie, auf das Übel einzuschlagen, z. B., das Unwetter zu bekämpfen, sondern einfach nur gesagt: „Halt‘ die Klappe!“ „Hebe dich hinweg!“, „Tritt hervor!“, „Steh‘ auf!“, usw. und damit das Übel als Versuch, das eigene Bewusstsein zu manipulieren, zurückgewiesen.
Um es sehr hart zu sagen: Das unfassbare menschliche Leid ist vollkommen überflüssig, wenn wir das Böse als Popanz erkennen würden, als Scheinriese und als Versuch der Anstiftung, auf es einzugehen. Dann können wir mit geistigem Bewusstsein und entsprechender Erfahrung bei seinem martialischen Auftreten einfach lächeln: „… es wird dich nicht treffen.“
Das hört sich an wie ein Schlag ins Gesicht der unzähligen Menschen, die ein Leben unter großem Leid führen, unter Qualen ans Bett oder den Rollstuhl gefesselt sind, mit künstlichem Darmausgang leben müssen oder mit Entstellungen, die Obdachlosigkeit, chronischen unerträglichen Schmerzen oder die Folter, Vergewaltigung, Bomben oder ethnischem Massenmord ausgesetzt sind. Und doch genügt es, mit dem entsprechenden geistigen Bewusstsein der Allmacht im Innern, wie es Jesus unmissverständlich klargemacht hat, aufzustehen und wegzugehen. Die unendlichen Qualen sind nichts anderes als das Symptom der ebenso unendlichen Ferne zur eigenen Seele, die sich auf diese Art und Weise meldet und die Leidenden zur Rückkehr bewegen will.
Nur dann, wenn Odysseus sich den Sirenen „nähern“ würde, würden sie ihn zerfleischen (12. Gesang, 39-54, 173-197). Homer verwendet dafür die Begriffe „auf sie horchen“ und „ihre Wohnung berühren“ und beschreibt die umliegenden Knochenberge derer, die ihnen in die Falle gegangen sind. Dies genau ist bei Faust der Fall, er horcht auf sie, verfällt den Verlockungen von Macht, Eroberung, Amüsement und Gewalt und richtet folglich blutiges Unheil an. Insofern erweisen sich Homers Epos mit seinen Knochenbergen, Jesu Auftritt bei Pilatus und auch Goethes Drama als Aufklärungswerke für die Menschen jeder Gegenwart.
Nicht auf die Sirenen hereinzufallen, lässt sich aber im realen Leben nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln. Odysseus muss sogar an den Schiffsmast gefesselt werden. (Der Mast ist das Symbol für die Antenne nach „oben“, die Vertikale zu Gott.) Mit der Symbolik der Fesselung zeigt Homer, dass die Bemühungen, Verbindung zur Seele aufzunehmen und zur Erkenntnis der eigenen Identität zu gelangen, denkbar intensiv sein und eng ausfallen müssen, um dem Ego Bewegungsfreiheit zu rauben. Ohne das direkte Gespräch mit der eigenen Intuition, mit der „Göttin“, die ihn auf die „Sirenen“ vorbereitet hat, lässt sich die Versuchung nicht durchstehen.
Der Preis für die Immunität vor dem Leid ist hoch, zum Nulltarif ist sie nicht zu haben. Um es mit Symbolen zu formulieren: Die Rückkehr in paradiesische Verhältnisse wird uns nicht leichtgemacht, schließlich bewachen zwei schwer bewaffnete Engel den Eingang. Und um den Dialog mit der Göttin zu erlangen, muss man eine Menge an Kraft, Zeit und Widerstandskraft aufwenden.
Um die Glaubwürdigkeit der Schilderung dieser Zusammenhänge ist es schlecht bestellt, denn es gibt nicht besonders viele, die das Risiko eingehen wollen, die Drohungen des Bösen zu ignorieren, ja vielleicht sogar sich von ihm für eine Zeit lang „verschlingen“ zu lassen, sogar anschließend einige Tage im „Walfischbach“ zu verbringen und vielleicht sogar darüber zu schreiben. Aber die ultimative Vereinnahmung durch das scheinbare Böse ist in Wirklichkeit sein allerletzter Kraftakt, um vielleicht doch noch seine Niederlage zu verhindern. Der spirituelle Sucher wird erst dann in dieses letzte Aufbäumen geführt, wenn Selbsterkenntnis als Gottessohn und Widerstandskraft bei ihm so weit entwickelt sind, dass sie für diese Feuerprobe reichen. Symbole für diesen Showdown gibt es genügend, angefangen vom Rotkäppchen, das unversehrt (!) aus dem Wolfsbauch herauskommt, ebenso wie Jona aus dem Walfischbauch oder Josef aus der Zisterne. Agent K in „Men in Black I“ lässt sich von der Schabe verschlingen, kann sie dadurch mit seiner Waffe zersprengen, überlebt dadurch und wird dadurch zum Retter für die Menschen. Ganz unsymbolisch lässt Gandhi sich von der britischen Besatzungsmacht viele Male „verschlingen“, nämlich einkerkern, zeigt dadurch ihre Übeltäterrolle auf und wird dadurch zum Retter für Hunderte von Millionen Indern. Gleiches gilt für die Quäker wie George Fox Im England des 17. Jahrhunderts, für Maxymilian Kolbe in Auschwitz und ungezählte sehr reale Helden, Ordnungshüter, Lebensretter, die sich haben „verschlingen“ lassen.
Diese Zeilen kann man nicht geschrieben haben ohne selbst das drastische Erleben erfahren zu haben, wie man sehenden Auges in die Katastrophe hineingeführt wird, zwar ausgerüstet mit dem Wissen um die Ohnmacht des Bösen, aber ohne die entsprechende Erfahrung, also ohne den letztendlichen Nachweis. Dann kommt das leidvolle Erleben, wie man sich Schritt für Schritt auf der Schneide eines Schwertes über den Abgrund vortastet und unbeschadet hinausgeführt wird. (Eine andere Formulierung der hinduistischen Weisheit ist die des „Tanzes auf den Schlangenhäuptern.“)
Ich erlitt Verlust von allem, was ich hatte, Verlust von Familienleben mit Partnerin und den Kindern, Jobverlust und damit Einkommen, Räumungsklage und Verlust vom Dach überm Kopf, verbunden mit untragbarer Verschuldung und juristischen sowie finanziellen Angreifern von allen Seiten. Das fast stündliche „Gespräch mit der Göttin Athene“ war meine Grundlage für die Kraft abzuwarten, das schlimme Leiden zu durchstehen, standhaft zu bleiben und zuzuschauen, wie meine innere Führung das Problem lösen würde.
Ich konnte nicht ganz angstfrei, aber zuversichtlich durch die Anfechtungen hindurchgehen, ständig gestützt durch die Ermutigung der inneren Stimme. Der unversehrte Wiederaufstieg aus der Löwengrube war die Demonstration der Wahrheit über den beschriebenen Zusammenhang, die Ohnmacht des Bösen.
Das Meeresungeheuer hat mich wieder ausgespien; das „tägliche Sterben“ hatte einen vorläufigen Gipfel erreicht. (Homer legt der Göttin Kirke die Worte in den Mund, dass Odysseus „zweimal den Tod schmecken“ wird.) Nach dieser Wiedergeburt und einer gewissen Reha-Zeit begann die Superkompensation zu wirken, und im folgenden Jahrzehnt konnte ich feststellen, dass es mir bewusstseinsmäßig und materiell so gut ging wie noch nie zuvor dass und vor allem mein Leben eine noch weiterführende Sinngebung erhalten hat. Wenn ich nicht selber die Ohnmacht des Übels – später noch mehrfach – erlebt hätte, wären alle biblischen und sonstigen eindrucksvollen Gleichnisse und Symbole nichts wert gewesen.
Die äußeren Mächte verlieren ihren Einfluss nicht insgesamt. Weil das Böse seine Macht nur durch die Kollision mit der Seelenkraft verliert, bezieht sich sein Machtverlust nur auf diejenigen, die sich bewusst der Erfahrung zur Ohnmacht weltlicher Macht gestellt haben. Das ist immer Ergebnis schwerer innerer und äußerer Auseinandersetzungen, in denen der alte Glaube an äußere Machtfaktoren von den neuen Erfahrungen ihrer Ohnmacht zertrümmert wird. In der Außenwelt wäre das nicht so, dass man z. B. als Soldat an der Front ist und die Kugeln von einem abprallen, sondern dass man mit spirituellem Bewusstsein gar nicht erst dorthin gelangt. Das Leid der anderen geht dort weiter. Schließlich ist es dazu da, zur Bewusstwerdung zu führen.
Das Wissen um die Ohnmacht des Bösen darf nicht benutzt werden. Es ist schon vorgekommen, dass spirituelle Aspiranten im Überschwang dieser Erkenntnis sich vornahmen, nun in eine Hafenspelunke zu gehen und dort Streit anzufangen: „Es kann uns ja nichts passieren!“ Das geht übel aus, weil das Ego sich an die Stelle der Seele setzen will.
Die weltliche Macht des Übels ist ungeheuer, aber nur, weil unser kollektives Bewusstsein sie so hat entstehen lassen. Dieses kann nicht auseinanderhalten, dass das Böse zwar auftritt, aber nicht die Macht hat, die es vorgibt zu haben. Nach Homer, Platon, Buddha, Shankara, Jesus, Hiob, Lao Tse und natürlich der Gita hat im Mittelalter kaum jemand die Impotenz des Übels herausgestellt. Erst mit der Neuzeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die Übersetzungen der Texte des Ostens auf. In der Folge wurde die Zahnlosigkeit des Übels von spirituellen Lehrern aus Nordamerika wie zuerst von Mary Baker Eddy (Wissenschaft und Gesundheit. Deutsch und englisch), Joel S. Goldsmith und den Nachfolgern wie den Stephensons und anderen aufgegriffen.
Impotenz heißt nicht, dass das Böse um Menschen mit Kenntnis seiner Ohnmacht einen Bogen macht. Im Gegenteil will es auch und gerade sie auf die Hörner nehmen. Das bedeutet, dass sie seine Wirkung schon zu spüren bekommen, indem Schmerzen sie plagen, eine Scheidung auf ihnen lastet, der Verlust ihres Einkommens ihnen erst einmal zu schaffen macht. Das ist ja gerade die Prüfungssituation, in der es darauf ankommt, sich jetzt gerade nicht zu fürchten, keine Sorge zuzulassen und sich auf die Führung durch das Hohe ICH zu verlassen. Das wird ausgiebig geprüft. Das Egoprogramm feuert dann Breitseite auf Breitseite auf den Frechling ab, der es wagt, den Donner der Aussage des Nazareners, dass Pilatus eigentlich keine Macht habe, auf den Zahn zu fühlen und zu durchschauen. Es lässt ihn dafür leiden und riskiert dabei, dass der Wahrheitssucher eben dieses Leid durchschaut und durchsteht. Das bedeutet, dass sich weltliche Macht erst einmal schon auf den spirituellen Sucher auswirkt, aber nur als Bedrängnis und nicht als Vernichtung. Die Bedrängnis ist vorübergehend und Mara muss sich trollen.
Aus diesen Erfahrungen wird deutlich: Es gibt eine Macht des Bösen nicht. Dann wird auch der Sinn der gewaltigen Aussage „Fürchtet euch nicht!“ klar: Es gibt nichts zu fürchten. Dann kann man aufhören, seinen Krebs zu fürchten. Das bedeutet nicht, die Heilungsversuche einzustellen, z. B. aufs Impfen zu verzichten oder auf eine Krebstherapie. Mohammed wird die Aussage zugeschrieben, dass du schon auf Allah vertrauen sollst, das Kamel aber trotzdem anzubinden hast. Es geht darum, den inneren Kampf zum Erfolg zu führen und darauf zu vertrauen, dass und wie die innere Stimme dann das äußere Vorgehen anführt.: „Ich kann von mir selber nichts tun, der Vater in mir tut die Werke.“ Man ist dann die Verantwortung los, hat die Problemlösung an den inneren Genius weitergereicht und macht die nächsten Schritte als Werkzeug und als Mitarbeiter.
Das Libretto zu Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ nennt diese Prozeduren die Feuer- und die Wasserprobe. Diese Begriffe sind offensichtlich Anleihen aus der esoterischen Tradition des ausgehenden Mittelalters. Mit Feuerprobe ist das Verbrennen des Schleiers, der den Blick auf das Wesen der Erscheinungen verstellt, gemeint. Insbesondere gilt das für das Hindurchschauen durch die Maske des äußeren Menschen auf seine Seele.
Mit Wasserprobe ist die Situation gemeint, in die jeder spirituelle Sucher kommt, wenn alle materiellen Rettungsmöglichkeiten weggefallen sind und dem Initianden beim besten Willen nichts anderes mehr übrigbleibt als sich an seinen Innengott zu klammern. Das klassische Beispiel ist die aussichtlose Lage des Odysseus in den Brechern des von Poseidon aufgepeitschten Meeres, in der er, sich an den letzten Balken seines Floßes klammernd, dem Ratschlag der Meeresgöttin folgt, loslässt (!) (vgl. Hermann Hesse: Klein und Wagner) und in die tobenden Fluten springt (Fünfter Gesang, 339-375). Die Meeresgöttin ruft: „Vertrau mir! Spring!“ Dadurch wird der Charakter der Situation gezeigt, nämlich sowohl der einer Probe, der einer Versuchung sowie auch derjenige der Ohnmacht der Drohung.
Erst dann, wenn wir standhaft dabeigeblieben sind, dass es keine Nebenmacht neben der unserer Seele gibt, und deshalb, bildlich gesprochen, Mephisto kleinlaut zugeben muss, dass es – ihn eingeschlossen – nichts anderes als göttliche Allmacht gibt, löst sich die Finsternis im hellen Licht der Erkenntnis auf. Ein hilfreiches Mantra ist immer, dass Gott auch auf der anderen Seite ist!
Wir sind nicht unterm Schirm, wenn wir die äußeren Mächte fürchten wie Behörden, medizinische Befunde, Einbrecher, Anschläge, Kriegsflüchtlinge, Jobverlust, usw. Dann unterliegen wir den Wechselfällen der Gut-und-Böse-Welt. Wenn wir die Macht der Menschen, Unfälle und Wetterunbilden fürchten, ernten wir sie. Es ist das Dilemma des Alltagsmenschen, dass er an irdische Mächte glaubt, weil er in diesen Glauben und ihre Oberflächenerfahrung hineingeboren wurde. Für ihn ist das Böse sehr real, und dann stimmt das ja auch. Insofern ist unsere irdische Lebenserfahrung unser Verführer.
Es gibt keine Parallelmacht. Alles ist Allmacht, alles (!) „… kommt von Gott“, um Jakob Böhme noch einmal anzuführen. Deshalb ist das Übel nicht ursprüngliche Realität, sondern nur für die Menschen, die es dazu gemacht haben, indem sie sich in seine Fänge begeben haben. Für diejenigen mit der Hindurchschau auf sein Fata-Morgana-Wesen ist es nicht nur keine Macht, sondern nicht einmal da. Nur gelegentlich wird man sich im Rückblick bewusst, dass all die unerfreulichen, schlimmen oder gefährlichen Verhältnisse, unter denen die Menschen insgesamt leben, von Unwetterkatastrophen über Virusepidemien, Scheidungen und finanziellen Zusammenbrüchen bis zum Verlust des Arbeitsplatzes usw. einen selbst so gut wie nie berührten.
Aber die Menschen sind, auch wenn sie noch einen Rest von Gottesbezug bewahrt haben, unbewusst von weiteren Zwillings-Mächten neben der Allmacht überzeugt. Zumeist aber haben sie aber überhaupt keine spirituelle Fühlung mehr. Sie sehen die Funktion des Bösen nicht, das zu unserer Höherentwicklung da ist.
Ahnungsvoll singt Mick Jagger von den Rolling Stones in „Sympathy for the Devil“:
„But what’s confusing you,
is just the nature of my game.“
Ohne das Böse und das Leid würden wir weiterhin unser Leben verständnis-, sinn- und ziellos vertun. Es hat den Sinn, dass es stets „das Gute schafft.“ Es ist immer da, aber trotzdem substanziell nichtig. Ohne das Böse gäbe es seine Überwindung nicht. Das wird im Film „Teuflisch“ mit Liz Hurley komödiantisch verarbeitet.
Was böse Menschen betrifft, so hat das Böse nicht den Ursprung in ihnen, sondern im kollektiven Bewusstsein, dass es Böses und vor allem böse Menschen gäbe. Das schließt den Glauben ein, dass es etwas außerhalb von Gott gäbe und Macht hätte. Und diese Macht tritt immer als Macht des Mangels und des Übels auf.
Entsprechend sind die Auswirkungen, die eben auch aus Gut und Böse zusammengesetzt sind. Das Schlimmste, was den Menschen passieren kann – und genau das passiert ihnen ständig und grundsätzlich -, ist, einem Umstand oder einer Person Macht zuzuschreiben, anstatt davon auszugehen, dass ihre Macht dem allgemeinen und dem eigenen Bewusstsein entspringt und auf mich als zwar Hosenmatz, aber mit meinem *Katapult der Geisteskraft ausgestattet, keinen Einfluss hat. Da können die Pilatusse dieser Welt machen, was sie wollen: Mein Erkennen der Nicht-Macht äußerer Einflüsse erzeugt deren Scheitern für mich. Ihre Macht zerbricht dann an einem Kieselsteinchen. Das gilt auch für die irdischen Normen, Regeln und Gesetze. Damit ist nicht gemeint, sie nach Belieben ignorieren zu können. Im Gegenteil sind sie zu beachten wie es alle anderen auch tun. Aber im Konfliktfall, wenn weltliche und spirituelle Ideale kollidieren, setze ich mich über erstere hinweg: Wenn der Einberufungsbescheid zur Armee kommt, befolge ich ihn, wenn es ans Töten geht, nicht. Dazu dichtet der schlesische Mystiker:
„Der Heilge, was er tut,
tut nichts nach dem Gebot.
Er tut es lauterlich
aus Liebe gegen Gott.“
(Cherubinischer Wandersmann. 5. Buch, 276)
Ähnliche Aussagen lassen sich beim anonymen Verfasser der Theologia Deutsch, dem „Franckforter“, Kap. 30 finden oder bei Paulus im Römerbrief. Man kann über das Schreckgespenst der Macht des Übels nichts sagen oder schreiben ohne die Erfahrung seines Unvermögens. Das geht nur durch wagemutiges konkretes Vorgehen ins Unbekannte wie Kolumbus. Vom weltlichen Standpunkt ist ein solcher Gang in eine unübersichtliche und gefährliche Situation riskant. Aber wer sich bewusst in einer Lage behauptet, in der sich das Heer der Krebsbefunde, Gerichtsvollzieher, Jobverluste, Anwaltsdrohungen, Kreditkündigungen, Räumungsbefehle, usw. auf einen stürzt und dann wirkungslos am Wissen um ihre Machtlosigkeit abprallt – wenn auch verbunden mit richtig kritischen Phasen -, für den ist die Bedrohung durch den Riesen Goliath hinfällig geworden. Er steht auf, nimmt sein Bett und geht. In der jüdischen Weisheit ist das symbolisch verarbeitet durch die Situation des Mose, der mit seinem Volk am Meeresufer steht, die Streitwagen des Pharao schon in Sichtweite hat und für den das Meer sich auftut und eine Gasse für sein Entkommen bildet. Wer erfahren hat, dass das tatsächlich funktioniert, für den wandeln sich die Verhältnisse. Das bedeutet, wenn ich das Böse als aufgeblähte Bedingt-Realität erkenne, beginnt es für mich zu verschwinden. Wer versteht, dass die Welt nur und ausschließlich gut ist, sogar sehr (Gen. 1,31), für den wird sie tatsächlich nur-gut.
Das heißt nicht, das Böse nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Vielmehr bedeutet es, das Böse als eine Erscheinung und ein Produkt aufzufassen, das auf Grund eines anerzogenen Bewusstseins entstanden und aktiviert ist sowie durch eine radikale Änderung des Bewusstseins deaktiviert werden kann. Es existiert nicht unabhängig.
Die Kinder, die vor der Bühne sitzen und zuschauen, wie der Kasper das Krokodil verprügelt, halten die Szene momentan für Realität. Das tun Erwachsene gelegentlich auch noch, wenn sie sich im Kinosessel abducken, wenn der LKW auf der Leinwand genau auf sie zurast. Natürlich sind Kasperfigur und die des Krokodils tatsächlich real, aber es ist die bedingte Realität der Puppe, die der Oberfläche. Die Kinder erkennen nicht, dass die Puppen von den Händen des Puppenspielers geführt werden. Genauso ergeht es den Menschen. Die Hand in der Puppe ist die Substanzebene, also das, was beständig ist, was bleibt. Die Bühne wird abgebaut und die Puppen verschwinden nach der Vorstellung im Lager, aber die Hände des Puppenspielers verbleiben. Die Substanz entzieht sich der Anschauung, während sie in unzähligen Varianten als Erscheinung auftritt:
„Nicht bin ich sichtbar jedermann,
weil mich der ** Maya Schein verhüllt,
so dass die Welt mich trugverwirrt
vor tausend Masken nicht mehr sieht.“
(Bhagavad Gita 7,25)
So ist jeder Mensch zum einen ein Ausdruck des göttlichen Lebens und zum anderen Ausdruck seines persönlichen Bewusstseins in einer Mischung von Gut und Böse. Böses kann es in „Gottes Reich“, also dem entwickelten spirituellen Bewusstsein, nicht geben, denn die Welt ist „sehr gut.“ Der Mensch kann frei entscheiden, ob und wann er welche Lebensführung im breiten Spektrum zwischen sehr böse und sehr gut wählt. Da er auf Grund des ihn umgebenden Bösen gelernt hat zu akzeptieren, dass es eben auch Böses mit seiner ungeheuren Macht gibt, werden die Erscheinungen des Bösen zu Wirklichkeit. Sie haben dann einen stabilen Platz auf der Festplatte unseres Bewusstseins gefunden und kommen entsprechend auf dem Monitor des konkreten Lebens zum Ausdruck.
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* Dem Katapult bei David entsprechen Pfeil und Bogen bei Odysseus. Was den Bogen betrifft, so trägt der Held in Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum nicht zufällig den Namen Bowman.
** Maya: Im Hinduismus Göttin der Illusion, die das Leben hinter dem Leben verschleiert, die den Blick auf die Hand im Handschuh behindert.
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Das Wesen des Bösen ist seine Nichtigkeit. Wenn ich das Böse als nur Erscheinung auffassen kann und es beharrlich zurückweise, löst es sich auf. Das eigentliche Böse ist die Verführung, an die weltliche Oberfläche zu glauben und vom Wesen dahinter abzulenken. Das ist schon in der Schöpfungsgeschichte verpackt: Das, was für Eva im Dialog mit der Schlange ein Problem war, existierte ja überhaupt nicht. Sie hat es auf Betreiben der Schlange als Problem interpretiert, ins Bewusstsein aufgenommen und ihm damit erst zu Realität verholfen.
Ein klassisches Beispiel für diesen Zusammenhang ist der Hypochonder, der eingebildete Kranke, der derart intensiv nach Symptomen von Erkrankungen an sich sucht, dass sie für ihn mehr und mehr zu schmerzhafter Realität werden. Er tut das deswegen, weil sein geringes Selbstgefühl ihn förmlich dazu treibt, irgendeinen Schmerz zu finden, damit er diesen und damit sich empfindet. Ein weiteres Beispiel für die Kraft des Bewusstseins ist die Wirkung (!) von Placebos.
Es ist natürlich schwer vorstellbar, die prinzipielle Nichtigkeit des Übels zum Beispiel einem Elternpaar zu erklären, das seine Tochter durch einen Triebtäter verloren hat und natürlich in Gut und Böse einteilt. Das geht nur spirituell und ist auch mehrschichtig insofern, dass das Leben unzerstörbar ist, dass es karmische Bestimmungen gibt, dass die ausschließliche Orientierung an der stofflichen Oberfläche irreführend ist, dass es einen Modus gibt, aus dem Gut-Böse-Leben auszusteigen und dass die Trauer grausamerweise auch noch ein Indikator für die Entfernung von der eigenen spirituellen Essenz ist.
Wie das Böse sich auflöst, nimmt die unterschiedlichsten Formen an. Auf jeden Fall ist die Voraussetzung immer, innerlich (!) nicht entsprechend zu reagieren. Damit ist nicht gemeint, nicht zu handeln. Aber das durch die Seeleveranlasste Handeln erfolgt erst, wenn sie den geeigneten Weg und den geeigneten Zeitpunkt (Kairos) zu erkennen gibt. Ist z. B. nach einem finanziellen Zusammenbruch oder Verlust des Arbeitsplatzes die Situation prekär, wird man nicht in Aktivitäten verfallen und hektisch alle noch denkbaren äußeren Wege ausprobieren. Vielmehr wird man sein Bewusstsein nach innen ausrichten und sich auf das Trachten konzentrieren:
„Trachtet als erstes nach dem Reich Gottes …, so wird euch alles … zufallen.“
Mit dem „Reich Gottes“ ist dasjenige Bewusstsein gemeint, dass sich vertrauensvoll auf die Führungs- und Versorgungsimpulse der Seele verlässt und wartet, bis zum passenden Zeitpunkt eine passende Konstellation auftaucht, die das Problem löst.
Man kann während des Wartens durchaus recherchieren, aber der Startschuss und die Art der Aktion und die Bestimmung des Zeitpunktes obliegt der Seele und nicht dem Verstand. Man ist dabei nicht verantwortlich Handelnder, sondern kooperatives Ausführungsorgan.
Insofern ist entscheidend für den Erfolg bzw. das Überwinden des Bösen das Erkennen seines Wesens. Gelingt es mir, bei jeder bösen Erscheinung mit der Schulter zu zucken und zu lächeln, löst sich die Bedrohung auf. Wenn ich spät nachts mit Motorschaden oder in Schneewehen auf der Straße liegenbleibe und das Bewusstsein der Versorgtheit habe (siehe Kapitel 9), werde ich versorgt werden, manchmal auf Wegen, die ungewöhnliche „Zufälle“ sind. Dasselbe gilt für meinen Konkurs, den Unterhalt nach meinem Ehescheidungsprozess oder meine Krebserkrankung, die bei meinem Bewusstsein des Schutzes vor dem Übel durch den Innengott schwinden. Werde ich an meinem Arbeitsplatz gemobbt, so bewirkt meine innere Kraft, die Kontrahenten in geistigem Licht zu sehen und sorgt so für nachhaltige Harmonisierung, auch wenn sich das manchmal erst nach einiger Zeit verwirklicht:
„Bejahe Tao [Urprinzip, Weltgeist, Brahman, Allah, Gott, Nirwana] in deinem Nächsten,
und dein Te [dessen Offenbarung, Seelenkraft] fördert Fülle …“ (Tao Te King, II, 54)
Das ist nach weltlichen Maßstäben eine Art übernatürliche Kraft. Es ist aber nicht eine der Person, sondern die der göttlichen Seele. Symbolisch bringt das der Film „Matrix“ zum Ausdruck, in dem die Mitglieder der Schiffs-Crew Fähigkeiten haben, über die die Matrixmenschen nur staunen können. Morpheus, Neo, Trinity und ihre Freunde von der „Nebukadnezar“ haben etwas geschafft, was das Schicksalsthema der Menschen insgesamt ist. Sie haben die Grenzen der Matrix-Welt, also des irdischen Jammertals, überschritten. Sie können – bewusstseinsmäßig – sich in der Oberflächenwelt bewegen oder aber sich auch aus ihr lösen. Dieselbe Bestimmung versucht der Protagonist im Film „Die Truman Show“ zu verwirklichen, also die Grenzen seiner eng begrenzten Oberflächenwelt zu durchbrechen.
Manche Mystiker haben den Menschen durchaus treffend als Schlafwandler beschrieben, der mit geöffneten Augen durch die Welt geht, sich aber in einer Art Dämmerzustand, also einem herabgesetzten Bewusstsein, befindet, der ihn die wirkliche Welt hinter der Oberfläche nicht erkennen lässt.
Griechisch „myéein“ = schließen: Mystiker sind diejenigen, die die Augen schließen, um die äußeren Eindrücke für eine Zeit ausblenden, um innere aufnehmen zu können. Mystik hat mit Parapsychologie oder Spiritismus nichts zu tun, sondern bezieht sich auf Menschen innerhalb einer Religion (die es in jeder Religion gibt), die die „Wirkung der Seele im Menschen kennen“ (Karl Rahner) und die die eine wie auch immer geartete Gotteserfahrung gemacht haben. „Mystiker“ (hat mit „mysteriös“ nicht zu tun) ist ein Begriff für Menschen, die über unmittelbare Gotteserfahrung und/oder eine Art „direkten Draht“ zur inneren göttlichen Seele verfügen wie z. B. Angelus Silesius oder Jeanne d´Arc mit ihrer „Stimme“, siehe Kapitel 5). |
Die Aufgabe jedes Menschen ist es, neben der Aufforderung, das Bewusstsein primär mit der Seelenkraft zu füllen, den Glauben an Böses und seine Macht zu tilgen. Allmacht schließt aus, dass das Böse Macht hätte. Es existiert nur, weil wir die uns verliehene Herrschaft über die Welt missbrauchen, indem wir den Glauben an Böses zulassen und sogar kultivieren. Unsere mediale Umgebung scheint gefühlt nur noch aus Ballerspielen, Pornographie, Horrorfilmen, Krimis und ausschweifenden Berichten über Katastrophen zu bestehen. Das Böse ist eine Fata Morgana, die nur deshalb in der Welt wüten kann, weil wir das Wissen um die Nichtigkeit dieses Scheinriesen verloren haben. Wer an das Böse glaubt und damit an eine andere Macht neben Gott, versteht das Allmachtsprinzip nicht.
Solange ich davon überzeugt bin, dass die Erde eine Scheibe ist, werde ich mich hüten, weit aufs Meer hinauszufahren, weil ich ja letztlich an der Kante hinunterkippen werde und somit an die Bedrohung geglaubt habe. Habe ich diese Überzeugung nicht oder nicht mehr, kann ich wie Kolumbus weit hinausfahren.
Der Volksmund hat eine ungefähre Ahnung, was diesen Zusammenhang betrifft, wenn er davor warnt, etwas zu „beschreien“ bzw. den „Teufel an die Wand zu malen.“ Denn wenn ich bedrohliche negative Befürchtungen ausspreche („Ich falle sowieso durch“, „ich schaffe das eh nicht“, „für mich gibt es dort sowieso keine Chance“, usw.), lade ich mein Bewusstsein mit negativer Substanz auf und trage dazu bei, dass Negatives kommt. In meiner Hand liegt die Steuerung meiner Realität: „I am the master of my fate.“ (E. W. Henley: Invictus)
Einen Teil dieser Wahrheit erkennt die Psychologie mit ihrem Element der sogenannten „Selffulfilling Prophecy.“ Wir sind eben der Gestalter unseres Schicksals, das man deswegen auch nicht Schick-sal, sondern „Selbst-mach-sal“ (K. O. Schmidt) nennen könnte.
„Ihr sollt nicht sorgen …,
was werden wir essen? …
Womit werden wir uns kleiden?
Nach solchem trachten die Heiden (!). …
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes,
so wird euch alles solches zufallen.“
Es ist schwer, weltliche Lösungen und Lösungswege außer Acht zu lassen und zuerst nur nach göttlicher Gnade zu trachten.
Man stelle sich vor, dass durch die Anhäufung eines Schuldenbergs von zwei oder drei Jahresgehältern einen finanziellen Zusammenbruch erfolgt, der den Ruin bedeutet. Es kann bei spirituellem Bewusstsein sich z. B. so entwickeln, dass der Betreffende seine erkrankte Schwester aufnimmt, die Miet- und sonstige Kosten plötzlich halbiert werden und dadurch der Zusammenbruch ausbleibt und egalisiert wird.
Erwin Reisner hat die Zusammenhänge von Bewusstseinsausrichtung und den Folgen einmal prägnant so benannt: „Ohne Bilder kein Teufel!“
Allerdings fällt dieser Zustand „ane bilde“ (Meister Eckhart) nicht vom Himmel, sondern muss durch spirituelle Bemühung erreicht werden, aber treffend ist das Zitat schon.
Die Wirkkraft der Gnade manifestiert sich nicht nur bei den großen Vorbildern. Der Schleier der Formenwelt wird in vielfältiger Form zerrissen:
- Bei einem Überholmanöver neben der Mitte eines LKW mit Anhänger taucht überraschend Gegenverkehr auf. Der Fahrer kann nicht mehr ganz überholen und auch nicht mehr durch Bremsen zurück. Eine Bö erfasst ihn und drückt ihn noch vor den Laster.
- Eine junge Frau erhält die Diagnose „Brustkrebs“, und zwar schon stark metastasiert. Prognose: Noch sechs Monate. Ein kundiger Homöopath gibt ihr ihr Typenmittel in der Tausenderpotenz. Nach zwei Wochen beim nächsten Arzttermin sind sämtliche Symptome verschwunden. Die Ärzte sind ratlos und sprechen von „Spontanremission.“
- Auf regennasser Straße kommt das Auto nach einer Kurve ins Schleudern, prallt seitlich gegen einen Baum, überschlägt sich um die Längsachse und landet hinter dem parallel zur Straße verlaufenden tiefen Graben auf den vier Rädern im Feld. Der Fahrer steigt unversehrt aus.
- Abendliche Rückfahrt auf der Autobahn zu einer Zeit, als es noch keine Handys gab. Auf der Rückbank ein krankes Kind. Es ist stockdunkel und es herrscht Schneetreiben. Plötzlich verliert ein Hinterreifen den Luftdruck. Der Ersatzreifen hat ebenfalls keine Luft. Einen Meter neben der Fahrertür brettern die LKW durch das Schneetreiben. Nach wenigen Minuten hält ein Gelber Engel hinter dem Auto und kann den Schaden reparieren.
- Ein Unwetter rückt mit hohen Windgeschwindigkeiten auf ein Jugendlager vor, kommt aber nicht an. Am folgenden Tag stellt sich heraus, dass es links und rechts vom Camp vorbeigezogen ist. Die Schäden in einiger Entfernung eben links und rechts vom Lager sind beträchtlich.
- Nach der Übernahme einer wichtigen Gruppenreise mit Jugendlichen kommt der Impuls, diese Verpflichtung abzusagen. Sie wird von anderen Fahrtleitern übernommen. Gegen Ende der betreffenden Reise werden die dortigen Reisenden infolge höherer Gewalt (Vulkanausbruch), durch die sämtlicher Flugverkehr in Europa ausfällt, an der Rückreise mit den Kindern gehindert und geraten durch Visaschwierigkeiten und längeren Zwangsaufenthalt in diesem Ausland in erhebliche Verwicklungen und finanzielle Schwierigkeiten.
Wer diese und noch massivere Erfahrungen gemacht hat, weil das Bewusstsein, unterm Schirm geschützt zu sein, geholfen hat, nicht mehr an Maya zu glauben, dem nötigt Maya mit ihrem Horror nur noch Gelassenheit ab.
Wir erkennen nicht, dass wir längst bereits geschützt sind. Es ist wie in einem Haus bei hellem Sonnenschein. Wir selbst haben alle Jalousien heruntergezogen und beklagen, dass es dunkel ist, beten vielleicht sogar, dass die Sonnen scheinen möge und unternehmen alle möglichen Maßnahmen gegen das Dunkel im Hause, ziehen die Jalousien aber nicht hoch und lassen das Licht nicht herein. Die Menschen suchen immer etwas, was gegen (!) das Übel wirksam ist, anstatt Erkenntnis aus der Antwort auf Pilatus zu schöpfen. Sie kennen die Falschmünzerei der Schlange nicht, obwohl zu allen Zeiten in allen Kulturen in Legenden, Sagen, Epen, Heldengedichten, Dramen, Spruchsammlungen, Offenbarungstexten, Romanen, Märchen, spirituellen Erzählungen oder Menschheitsparabeln (wie Faust) Antworten auf die Sinn- und Machtfrage gegeben werden. Vor allem aber die Taten wahrer konkreter Helden wie Gandhi, Martin Luther King, Mutter Teresa, Pater Kolbe, Joao de Jesus, dem Mann, der die Wüste besiegte und, und, und unterstreichen die Wahrheitsaussagen der heiligen Schriften. Die Welt ist schon vollkommen, nur durch das menschliche Bewusstsein von Gut und Böse wird sie von Bösem durchsetzt. Durch das Bewusstsein von Nur-gut tritt ihr paradiesischer Zustand wieder hervor: Es ist ein intellektueller Akt.
Wenn ich in einem stockdunklen Kellerraum eine Leuchte anzünde, dann gibt es keine Dunkelheit mehr, je heller, desto weniger. Das Anzünden entspricht dem Erkennen der göttlichen Gegenwart in mir.
Was den Charakter der Dunkelheit betrifft, so verdient besonderes Augenmerk, was mit ihr geschieht: Sie geht ja nicht woanders hin, sondern ist einfach nicht mehr da. Das drückt das Prinzip des Bösen aus: Es ist nichtig, es ist eine Erscheinung, die schwindet und sich einfach auflöst, sobald ich mich unterm Schirm befinde. Das Licht unternimmt nichts gegen die Dunkelheit, prügelt nicht auf sie ein. Es gibt sie in der Gegenwart des Lichts einfach nicht. (Im Alltagsleben nimmt das allerdings meist die Form an, dass sie nur allmählich schwindet.)
Bei den meisten Menschen ist der Docht abgeknickt oder nur ein kleiner funzeliger Rest glimmt. Dann ist die Präsenz der Dunkelheit natürlich machtvoll. Das ist die Folge des kollektiven Gesamtprogramms der Nicht-Einheit zwischen Seele und Mensch und gilt auch für diejenigen, die gläubige Christen, Buddhisten, usw. sind und dogmatisch in ihrer Religion verhaftet sind, keinerlei Kontakt zur inneren Stimme haben und damit genauso abgeschnitten sind wie alle anderen.
Das Prinzip der Zahnlosigkeit des Übels wird wie gesagt deutlich am Kranksein. Die Menschen glauben, dass ihre Organe und auch deren Störungen das Leben beeinflussen. Aber es ist umgekehrt: Das Leben – über das Bewusstsein – beeinflusst die Organe und ruft die Störungen hervor. Deswegen gibt es keine Krankheiten unter dem Schirm geistigen Bewusstseins. Es gibt zwar für den spirituellen Sucher vielfältige Syptom-Attacken, aber keine kann sich halten, solange beharrlich das Bewusstsein ihres Charakters als Schreckgespenst aufrechterhalten wird.
Ein Erkrankter entwickelt sofort Opferbewusstsein, weil er glaubt, dass es ihn einfach nur irgendwie erwischt hat. In seltenen Fällen erkennt zwar der Raucher, warum ihn das Raucherbein befallen hat oder der Lungenkrebs. Oder er hat gedacht, dass es ihn schon nicht treffen wird. Oder er konnte der Versuchung durch die Sucht einfach nur nicht widerstehen. In jedem Fall aber war er insofern Täter, als er es versäumte, den vielfältigen Aufforderungen zu folgen, das Leben mit seiner Gut-Böse-Struktur zu hinterfragen. Anlässe wie Anstöße durch die aufgeklärte Sozialisation und die massenmediale Vielfalt hätte es mehr als genug gegeben.
Krankheit ist ein Erzeugnis des Bewusstseins, egal, ob bewusst oder nicht. Würde unser Verstand von Geburt an so etwas wie Krankheit nicht kennen, gäbe es keine. Allerding macht jeder die Erfahrung von Kinderkrankheiten, wobei ein Bewusstsein ihrer Nichtigkeit nicht vorausgesetzt werden kann. Aber immerhin macht ebenfalls jeder die Erfahrung, dass diese Krankheiten wieder verschwinden, also nur zeitweise Wirkung zeigen können, sich nicht durchsetzen können. Im Erwachsenenleben dann könnte der nächste Schritt erfolgen und die Abhängigkeit des Krankseins erfasst werden. Hypochonder und Placebos weisen auf unterschiedliche Art und Weise die Richtung.
Aufschlussreich ist die Erzählung von Jules Romains: „Knock oder der Triumph der Medizin.“ In ihr wird der alte Dorfarzt durch einen jungen Nachfolger ersetzt, der die Leute, die bislang im Wesentlichen gesund waren bzw. gehalten wurden, so lange diagnostiziert, bis alle mehr oder weniger krank sind. Unterm geistigen Schirm gibt es keine Krankheit, nur Attacken, die meist so schnell verschwinden wie sie gekommen sind. Das ist der Hintergrund für die Aussage des Nazareners mit dem Aufstehen und einfach Weggehen.
Wer an scharfe Zähne des Übels glaubt, verstößt übrigens auch in krasser Form gegen das erste Gebot des Christentums, das davon abrät, „andere Götter zu haben.“ Da in diesem Zusammenhang Gott ein Synonym für Machthaber ist, vergeht sich derjenige, der das Übel für bare Münze hält, gegen das Allmachtprinzip des Schöpfergottes.
Alle Behauptungen über Machtlosigkeit haben solange keine Aussagekraft, solange man nicht selbst die Erfahrung der Vorspiegelung der Macht des Übels machen will und gemacht hat. Solange ist dies nur Arbeitshypothese, egal, ob Krishna, Jesus, Buddha und andere das aussagen. Man hat erst Gewissheit, wenn man mit dem Übel konfrontiert wird und dann den Schritt wagt, die obigen Behauptungen in Praxis umzusetzen. Man sucht nach dem inneren Dialog, fängt an zu meditieren und dabei die Gedankenstille einzuüben, um die sanfte Stimme hören zu können. Parallel dazu erwirbt man mehr und mehr spirituelles Wissen. Langsam, sehr langsam stellt sich der Charakter des Bösen als Blendwerk heraus. Zuerst kann man es trotz beginnender Erfahrungen nicht glauben. Es ist einfach zu ungeheuerlich. Aber dann kommen Situationen, in denen man erkennt, dass jetzt die Möglichkeit besteht, der These auf den Zahn zu fühlen. Es sind immer Testarrangements, die mit Risiken verbunden sind, aber zunächst relativ geringe. Wer diesen Sprung ins kalte Wasser riskiert und bewältigt hat, gerät in zunehmendem Maß in weitere Risiken und erkennt dann durch weitere erfolgreiche Erfahrungen die Wahrheit, die Jesaja offenbart wurde:
„Einer jeglichen Waffe, die gegen dich bereitet wird, soll es nicht gelingen.“
Das Unwissen über den nichtigen Charakter des Bösen ist die Ursache für die Heillosigkeit unseres Planeten. Und es ist eine Titanenarbeit, diese Programme des Guten und vor allem des Bösen zu ersetzen durch die Führung unserer Handlungen durch die göttliche Seele. Wir gewinnen dann den direkten Draht zu „meiner Stimme“ (Jeanne d´Arc).
In der Rajjusarpa Nyaya, einem Gleichnis, kennzeichnet die hinduistische Philosophie den Charakter des Bösen:
Ein Mann kommt abends nach Hause. Im Vorgarten tritt er auf eine Schlange, springt zur Seite, fühlt einen Schmerz und merkt dadurch, dass die Schlange ihn gebissen hat. Er weiß, dass es eine Giftschlange war und ruft den Priester. Er spürt, wie ihn die Lebenskräfte langsam verlassen. Da kommt die weise Frau des Dorfes vorbei und betrachtet die Wunde. Dann nimmt sie eine Lampe und geht in den Vorgarten. Dort sieht sie neben dem Rosenstrauch ein Seil. Sie geht zurück und sagt dem Mann, dass er nicht stirbt, dass es keine Schlange, sondern ein Seil war und dass es kein Schlangenbiss war, sondern die Wunde von den Dornen kommt.
(nach wiki.yoga-vidya.de)

Wer aber den Charakter des Bösen kennt, weiß, dass die desaströse Lage, die von jedem nur allzu ernst genommen wird, in Wirklichkeit keine Giftschlange, sondern ein Seil ist, das nur übel aussieht und das wir in der Dämmerung (Symbol für den getrübten Bewusstseinszustand ohne Tiefblick) als böse und existenzielle Bedrohung aufgefasst haben.
Den Fake-Charakter des Bösen kann man sich gut vergegenwärtigen, wenn man sich in kritischen Situationen klar macht, dass die „Feinde“, die einem gegenüberstehen, dieselbe geistige Essenz im Innern haben wie man selbst – immer auch vorausgesetzt, man erhält das Bewusstsein der eigenen Aura aufrecht. Das harmonisiert die Zwietracht, weil unter der Bedingung eines erleuchteten und mehr oder weniger ständigen Bewusstseins gegenseitige Verletzungen zurückgedrängt und ganz zum Verschwinden gebracht werden. Zwei Finger an ein und derselben Hand verletzen sich gegenseitig nicht, das tun nur die Menschen. Ich habe immer die Wahl, entweder zum Tumor zu sagen: „Ich hasse dich“ bzw. „Ich habe Angst vor dir“ oder aber: „Ich kenne und liebe (im Sinne von Erkennen) dich, der du mich voranbringen willst.“
Wer es auf sich nimmt, diese Erkenntnis in die alltäglichen Konflikte umzusetzen, erlebt Wunder über Wunder.
Es klingt weltfremd, mitleidlos und überheblich, die vielen Gefahren, Bedrohungen und das tagtägliche unendliche Leid der Menschen – und das der Kinder – als Fata Morgana zu bezeichnen. Es scheint eine Verhöhnung der leidenden Menschen zu sein. Und doch hat es einen Grund, dass David einem Riesen gegenübertreten kann und Jesus es wagt, der gewaltigen weltlichen Macht des Pilatus zu sagen, dass seine Macht im Prinzip ein Phantom ist. Denn im „Reich göttlichen Bewusstseins“ wird die Vogelscheuche als solche entlarvt. Die Bedrohungen fallen dann in sich zusammen. Die scheinbar unüberwindlichen Wassermassen des Meeres haben sich dann geöffnet. Die einzige Antwort auf weltliche Unvollkommenheit ist geistige Vollkommenheit.
„Derjenige, der das Leben erfasst hat, schreitet durchs Land,
ohne zu fürchten Nashorn und Tiger.
er geht mitten durch den Feind ohne Panzer und Waffen.
Nicht finden Einhorn und Tiger
eine verwundbare Stelle,
und die Waffen wissen nicht,
wie man ihn tödlich treffen kann.
Warum das? Weil er unverwundbar ist.“ (Tao Te King 50)
Wer an die Substanz der Krankheit glaubt, verstößt gegen das Prinzip:
„Du sollst keine anderen Götter [also Machthaber wie Krankheiten, usw.] haben neben mir!“
Auf dieser Basis der Selbsterkenntnis können wir uns retten, wenn wir die Aufbauschung des Papiertigers erkennen. Wie kann man Böses fürchten, wenn es nur Gott gibt? In einer von Gott geschaffenen Welt kann es nichts Böses geben, in einer vom menschlichen irdischen Bewusstsein durchsetzten sehr wohl. Wenn wir die Macht der Seele missachten und sie durch die eines materiellen Bewusstseins ersetzen, haben wir dem Übel Tür und Tor geöffnet. Den einzigen Fehler, den wir machen können, ist derjenige, das Leben hinter dem Leben zu negieren, unsere göttliche Identität zu vergessen und dadurch dem Übel scharfe Zähne zu verleihen.
Der Teufel ist das, was wir aus ihm machen.