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Für die Sexualität in unserem Leben führt ihr rein materielles Verständnis – ihre Verkürzung – letztlich so gut wie immer in ein Desaster. Die Ausblendung ihres geistigen Teils ist die Ursache für das Leid, das sich – als Botschaft – grundsätzlich früher oder später einstellt.
Das erste Motiv für den Drang zum anderen Geschlecht ist zunächst die erotische Anziehung, der Trieb, der beim Menschen im Gegensatz zu den Tieren lusterfüllt ist. Diese Stufe des Vereinigungstriebes beherrscht das menschliche Verhalten oft vollständig. Sie ist die animalische Stufe des menschlichen Liebesverhaltens. Sie blendet dann die Anteile der nächsthöheren Stufe von Liebe und Sex wie Sympathie, Zuneigung, Freundschaft, liebevollen Respekt, Zärtlichkeit, Vertrauen weitgehend aus. Das sieht man an den Zehntausenden Bordellbesuchen pro Tag, dann an den sogenannten Quickies, an den One-Night Stands usw. Sie beseitigen vor allem den libidinösen Druck. Sehr derbe und sehr treffend drückt der islamische Weisheitslehrer Rumi das so aus: „Unsere Ehegatten verrichten in unsere Scheide nur ihre Notdurft.“ (Das Matnavi V, 3392). Es geht dann hauptsächlich um die Genussmomente; die generelle Wortwahl ist „Spaß.“ Diese Ebene der menschlichen sexuellen Liebe basiert auf Egozentrik.
Im Alltagsleben wird diese Trieb-Sexualität, die keinen spirituellen Bezug hat, zum Zweck der selbstischen Befriedigung, oft als „Nummer“ praktiziert. Der Körper wird nicht verehrt, sondern benutzt. Der rein erotische Sex der Paare ist im Grunde gegenseitige Selbstbefriedigung.
Was die Beständigkeit der Erotik betrifft, so gibt es kein noch so raffiniertes Mittel, dieses selbstische Liebes- und Sexleben aufrechtzuerhalten. Es verwelkt, weil jede Bemühung, sexuelle Erfüllung zu halten, auf der irdisch-horizontalen Ebene verbleibt. Denn die Ebene des irdischen Existierens ist generell durch Werden und Vergehen gekennzeichnet – im Gegensatz zu seinen geistigen Bestandteilen.
Erfüllung im rein menschlichen Liebesleben, also ohne geistige Anteile, kann es – abgesehen einmal von Kurzfristigkeiten wie im Honeymoon – auf Dauer auch nicht geben. Menschliche Sexualität ist aber nicht nur Libido-Befriedigung, sondern ein Impuls von Entwicklung und insofern ein kosmisches Geschehen, eine Stufe für die Suche nach mehr. Sex motiviert zu Partnerfindung und führt damit zu seiner Ausweitung zu einer Lebensgestaltung, die über die ausschließlich eigene Selbstbezogenheit hinaus reicht und meist auch führt.
Die nach Libido (Eros) nächste Stufe der menschlichen Liebe ist die Ebene der sympathischen Anziehung zwischen den Partnern (Philia). Sie ist emotionale Vereinigungsenergie zwischen zwei Individuen, die sich gegenseitig nicht nur als Unterstützung, Ergänzung, Bereicherung und gegebenenfalls Reifung suchen, sondern auch vor allem zur Befriedigung sexueller, intellektueller und emotionaler Bedürfnisse. Das Streben nach Verbindung mit einem passenden Gegenüber und deren Verwirklichung ist dasjenige Phänomen, das zusammen mit der Sexualität gemeinhin als „die“ Liebe bezeichnet wird.
Aber deren konkreten Folgen – mit der Zeit – kennt jeder Mensch, der in Partnerschaft(en) war. Es sind Abstumpfung, schleichend gestörtes Sexualverhalten, Seitensprünge, Eifersucht, Verlassensangst, Unterdrückung, Besitzdenken, Vereinnahmung, gegenseitige Abhängigkeit, Kontrollsucht usw. (Wenn das bloß die noch verliebten Brautpaare wüssten.) Die hohen Scheidungsquoten sind aussagekräftig genug. Aber auch in den noch bestehenden Ehen oder Partnerschaften herrscht früher oder später das, was jeder kennt und fast jeder erfährt, also sexuelle Leere, das Zerbröseln des Vereinigens, sogar das der Gemeinsamkeit, das epidemische Fremdgehen oder dann natürlich die zerstörerischen Trennungskriege. Solche filmischen Meisterwerke wie zum Beispiel „American Beauty“ oder „Revolutionary Road“ (deutsch: „Zeiten des Aufruhrs“) mit solchen Schlüsselzitaten in Rezensionen wie „ohne offensichtliche Erlösung“ oder „Virus des Scheiterns“ zeigen in eher noch gemäßigter Form die „hoffnungslose Leere“ der Stagnation menschlichen Liebens.
Ein weiteres Merkmal dafür sieht man auch am Schürzenjäger, am Womanizer, der nicht die Frau sucht, sondern die Liebe, die nämlich gebend ist, die er aber durch seine nur nehmenden Egoprogramme nicht finden kann. Ähnliches gilt für Frauen dann, wenn sie den Sex instrumentell handhaben, indem sie den Partner durch Hingabe nur zufriedenstellen oder ihn an sich binden wollen.
Das menschliche Lieben ist tatsächlich hoffnungslos, wie es die vergangenen Jahrtausende zeigen, aber nur in Bezug auf die materielle Ebene. Ein wesentlicher Grund ist, dass die Menschen diese existenziellen Krisen nicht als Botschaft der geistigen Welt zur geistigen Rückkehr erkennen, obwohl das Gleichnis vom Verlorenen Sohn dies überdeutlich zeigt.
Für diese flächendeckende Entwicklung gibt es einen Grund: Die Menschen lieben unvollständig und falsch orientiert. Sie wollen nicht geben, sondern haben, mit den Worten Leo Tolstois: Nicht „sein Wohl im Wohl der anderen suchen, sondern nur sein eigenes.“ (Auferstehung, Band 1, Kap. 14)
Bei jeder Berührung lieben sie nicht primär den Partner, sondern in erster Linie ihre eigenen Gefühle dabei. Die gegenseitige Selbstbefriedigung besingen die Beatles unbefangen egozentriert: „And when I (!) touch you, I (!) feel happy – inside.“ Und Georg Christoph Lichtenberg ätzt:
„Wir fühlen nur für uns. …Man liebt weder Vater noch Mutter, noch Frau noch Kind, sondern die angenehmen Empfindungen, die sie uns machen…“ (Über äußere Gegenstände)
Die Partnerschaften auch mit gutem Sex enden normalerweise in Routine und Verödung. Denn auf der menschlichen Ebene der Liebe, der materiellen Ego-Ebene führt die Dominanz des Habenwollens zur Verstärkung des Mangelgefühls, das ja erst zum Habenwollen geführt hat. Vor allem aber kann diese Partnerliebe nicht die unbewusste Suche nach Vervollkommnung bzw. Einheit erfüllen, denn es fehlt die Bewusstmachung des eigenen geistigen Kerns und die des Partners bzw. der Partnerin. Um es sehr klar zum Ausdruck zu bringen: Eine Befreiung vom Liebesleid über Eros und Philia-Liebe gibt es mit irdischem Bewusstsein nicht. Denn dieses lässt es nicht zu, das eigene Wohl im anderen zu suchen. Die bisherigen Jahrtausende des Homo sapiens zeigen das. Aber ebenso zeigen die menschlichen Weisheitstexte, die Bibel, der Koran, der Tanach, das Dhammapada, die Bhagavad Gita, das Tao Te King, dass es die Lösung gibt, und zwar durch die Änderung eben dieses irdischen Bewusstseins. Deshalb gibt es zum Beispiel die Bergpredigt.
Die über das irdische Liebes- und Sexleben mit Eros und Philia essenziell hinausgehende Stufe ist die des göttlichen Liebens, die obere geistige Hälfte der menschlichen Liebe: Das ist Agape.
Während die menschliche Philia Unterschiede zwischen Freund und Feind macht, bezieht sich Agape auf alle Menschen und macht zwischen ihnen keinen Unterschied. Jesus beschreibt diesen Sachverhalt mit dem Begriff „Feindesliebe.“ Bei diesem Wort schütteln die Menschen verständlicherweise den Kopf und fragen verständnislos, ob sie ihrem Feind oder sogar Todfeind um den Hals fallen oder ihn vielleicht auch noch abknutschen sollten. Das ist auch nicht so gemeint und führt sogar in die totale Irre. Denn die allgemeine Wortwahl Liebe führt sofort zum menschlichen Verständnis von gefühlsmäßiger Anziehungskraft. Aber darum geht es überhaupt nicht, sondern bezieht sich auf etwas ganz anderes. Das macht Jesus hat an verschiedenen Stellen deutlich und hat das sogar als Gebot klar angemahnt: „sich untereinander zu lieben, wie ich euch geliebt habe.“ (Joh. 13,34) Seine Anweisung ist die göttliche Perspektive und bezieht sich auf den geistigen Tiefblick (Kapitel 9 und17), die er von jedem Menschen verlangt. Sehr konkret zeigt er das an seinem Umgang mit den Folterknechten, die ihn ans Kreuz genagelt haben: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk. 23,34). Er verlässt im Bewusstsein die Ebene der Materie, besinnt sich auf den eigenen geistigen Wesenskern, die Ebenbildlichkeit, die innere Stimme, das Reich Gottes, das „inwendig in euch ist“ (Lk. 17,21) und überträgt dann diese rein verstandesmäßige Sichtweise auf eben diese Feinde: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an.“ (1. Sam. 16,7) Insofern hat diese Art der „Liebe“ mit dem menschlich-emotionalen Verständnis nichts zu tun, denn es ist ein ausschließlich intellektuelles Verständnis der All-Einheit der Schöpfung, und zwar in Bezug auf ihre geistige Einheit – wie die der Finger an der Hand, deren Einheit im gemeinsamen Blutstrom besteht, der ihre Existenz überhaupt erst ermöglicht. Deshalb hat „Feindesliebe“ hat mit ihrer umgangssprachlichen Bedeutung also nichts zu tun wie etwa mit Gefühlen der emotionalen Ebene. Sie ist nackte Verstandestätigkeit und Erkenntnis des Nichtsichtbaren.
Die Folgen im praktischen Alltagsleben sind eminent. Wer auf sich als göttliche Ebenbildlichkeit blickt und dann entsprechend auch auf seine Feinde, also auf deren Ebenbildlichkeit, und sich entsprechend zurückhaltend und korrekt verhält, aber auch unnachgiebig, erlebt in der Praxis Wunder über Wunder. (Allerdings kommen die nicht immer gleich auf Wunsch und tiefgreifend; vielmehr muss diese Wende im Bewusstsein diszipliniert und geduldig eingeübt werden.)
In der sexuellen Begegnung ist natürlich von Feinden keine Rede, und selbstverständlich geht es hier darum auch nicht: Aber das Prinzip der Sichtweise der Person auf ihr eigenes geistiges Wesen und dann auf dasjenige der Partnerin ist dasselbe; und darauf kommt es an. Die geistige Sicht auf ihn oder sie führt zu einer ungeheuren Höherentwicklung, verbunden mit den eminent harmonischen Folgen.
Jetzt wird die Aussagekraft des Gleichnisses „Die Schöne und das Biest“ („La Belle et la Bête“) deutlich: Siehe obiges Bild. Es ist eine treffende Darstellung der Alternative zur menschlichen Katastrophe mit der Sexualität, es zeigt die Methode, dieses Desaster zu besiegen:
Die Schöne entscheidet zunächst bewusst, sich in die Hände des Monsters zu begeben, um sich für das Leben ihres Vaters aufzuopfern. Sie entscheidet sich also gegen ihre Selbsterhaltung, gegen ihr Ego.
Sie wird zum Schloss (reichhaltige Ausstattung des Planeten Erde) geführt, in dem ein Ungeheuer regiert, ein zweibeiniges Geschöpf mit Tierkopf und Hauern (die menschliche Ego-Tierseele, die „tierischer als jedes Tier“ ist (Faust I: Auerbachs Keller).
Dort verbringt sie aber aufgrund ihres bescheidenen und liebevollen Wesens (Einfluss ihrer Geistseele) eine freudvolle Zeit und verliebt sich in das Ungeheuer: „Feindesliebe.“ Denn sie erkennt das göttliche Wesen hinter der grässlichen Oberfläche („inwendig in euch“) und ihre eigene innere Einheit mit ihm. (Die Darstellung des menschlichen Ego als äußeres Ungeheuer ist ebenfalls bei Homer in der Odyssee als Zyklop Polyphem zu finden oder auch als Minotaurus in der Theseus-Sage.)
Durch ihre geistige Ausstrahlung liegt das Biest mit seiner weltlichen Monster-Oberfläche im Sterben. Ihre – geistige – Liebe zerstört sein – materielles – Ego.
Die Schöne „küsst“ das Monster sogar: Damit verweist das Märchen auf die Forderung Jesu in der Bergpredigt, seine „Feinde zu lieben.“ Natürlich käme der irdische Mensch aufgrund seiner stofflichen Lebenserfahrungen nie im Leben auf die Idee, seinen Feind zu küssen. Das hat auch Jesus nicht gemacht (Lk. 23,33). Vielmehr hat er bei den Soldaten, die ihn ans Kreuz schlugen und ihn verhöhnten, „nicht auf die Person geschaut“ (Apg. 10, 34), sondern nur auf ihr göttliches Wesen, hat sie also „geliebt“, „wie ich euch geliebt habe.“ Er hat deren Triebsteuerung erkannt und deshalb darum gebeten, dass ihnen vergeben werde.
Die Schöne verwirklicht die Durchdringung bzw. Überwindung der Oberfläche. Daraufhin verwandelt sich das Biest in den Prinzen zurück, der in ihm steckte. Durch diesen Bewusstseinsakt adelt die Schöne sich selbst erst recht und geht mit diesem „Feind“ in eine erfüllte materielle Zukunft. Sie ist nun Königstochter: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Das ist die Station aller Wagemutigen, die den spirituellen Weg eingeschlagen haben.
Dies ist auch die geistige Stufe der Sexualität: Agape. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die bisherige weitestgehende Einstellung des Habens bzw. Habenwollens nach und nach durch die des Gebens ersetzt wird; amor ascendens. Das Geben ist aber nicht das Ziel, sondern die Folge des Erreichens der höchsten, der geistigen Leiterstufe des materiellen Lebens und Liebens, die Erkenntnis der geistigen Gegenwart in beiden Liebenden:
– „Gott schaut die Person nicht an.“ (Apg. 10, 34)
– „Wir Kinder Gottes.“ (1.Joh. 3, 1)
– „Der, der in euch ist, ist größer als der, der in der Welt ist.“ (1. Joh. 4, 4))
– „Ich in euch.“ (Joh. 14, 20)
Jetzt wird klar, wie Jesus die Sache mit Gott versteht: Er meint nicht den alten Herrn mit dem weißen Bart auf der Wolke, sondern den Christus, der „in euch“ ist:
„Du sollst Gott [in euch] lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und von ganzem Gemüt. Das ist das „vornehmste und größte Gebot“ (Mt. 22,37) und „deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (..)
Es gibt keine Alternative für irgendeine Erlösung aus dem grundsätzlichen Leiden in Sex und Liebe, solange die obere Hälfte fehlt: Die Menschen tun immer sehr viel dafür, die „Welt ein Stück besser zu machen“, aber bleiben auf der horizontal materiellen Ebene und richten trotz mancher temporärer Erfolge unterm Strich nicht das geringste aus. Denn die Welt kann man nur mit geistiger Ausrichtung des Bewusstseins „ein Stück besser machen.
Das Geheimnis des irdischen Erlösungsweges besteht darin, sich seine eigene göttliche Identität (siehe Kapitel 1) bewusst zu machen („Ihr seid alle Götter.“; Joh. 10, 34) und dann auch die der anderen Menschen. Diese Bewusstseinsarbeit gilt natürlich auch für Partner bzw. Partnerin und ist auf die sexuelle Begegnung direkt übertragbar: Diese obere Hälfte der Liebe, ihre geistige Dimension, ist gekennzeichnet durch das Motiv des Gebens, das sich im deutlichen Gegensatz zur üblichen Lebensweise des sexuellen Habenwollens befindet.
Diese Überwindung der materiellen menschlichen Liebe, ihre obere Hälfte, fängt also damit an, dass die Partner – meist ist es erst mal einer – sich seinen eigenen göttlichen Kern bewusst macht. Ohne das geht es nicht, und es dauert seine Zeit, diese Bewusstseinsstufe gegen die massiven Anfechtungen der stofflichen Welt mit ihren gewaltigen erotischen Reizen durchzusetzen und durchzuhalten. Aber schon dann geschehen Wunder auf der materiellen Ebene, was Verständnis, Vertrauen, emotionale Tiefe und vor allem den Wegfall aller negativen Elemente von „unten“, von Unzufriedenheit, Misstrauen, Perversion, Egozentrik betrifft.
Der nächste Schritt ist die Ausweitung dieser geistigen Sicht auf den göttlichen Kern des Partners bzw. der Partnerin. Damit wäre die Krone der Befreiung von jeglicher Disharmonie und Störung erreicht.
Allerdings gibt es aber auch eine massive Barriere innerhalb der sexuellen Begegnung: Sie liegt in der Gesetzmäßigkeit der gegenseitigen Ausschließlichkeit von Materie und Geist begründet: Entweder – Oder.
Jesus bringt dieses Prinzip in der Bergpredigt so zum Ausdruck: „Niemand kann zwei Herren dienen.“ (Mt. 6, 24) Im Liebes- und Sexleben heißt das, dass der göttliche Tiefblick die Phasen von sexueller Erregung, Lust und Leidenschaft weitgehend ausschließt und umgekehrt die Momente der Leidenschaft und sexuellen Erregung den göttlichen Tiefblick.
Dieses Prinzip kann man nicht aufheben, aber man kann mit ihm umgehen:
Wie das die beiden Partner tun, etwa durch abwechselnde Phasen der materiellen und geistigen Phasen oder einer durchgehend einseitig verteilten Rolle oder einer situativ intuitiv gesteuertem Gestaltung, kommt auf sie an. Dabei ist aber immer das Geben das tragende Prinzip innerhalb der sexuellen Begegnung. Dazu kommt nach Möglichkeit das Beachten der intuitiven Führung von innen (Bauchgefühl), denn „Dein Wille geschehe“ ist Gradmesser erfüllenden (!), leidfreien (!) und nachhaltigen (!) gemeinsamen Erlebens. Dies führt die Paare zum ersten Mal in ihrem Leben an die Sinngebung des Lebens heran, an das Einheitserleben als konkrete Ausdrucksform der Rückkehr des Verlorenen Sohnes in seine geistige Heimat (Lk. 15, 11 ff.)
Nach „oben“, auf diese geistige Stufe (Agape) geht es ohne spirituelles Bewusstsein nicht: Sie ist wie gesagt diejenige, die „einander liebt, wie ich euch geliebt habe“ (Joh. 15, 12). Diese höchste Bewusstseinsstufe ist die geistige Liebe des Menschen. Sie durchdringt die materielle Gegenwart des Partners bzw. der Partnerin und konzentriert sich auf deren göttlichen Kern.
Allerdings wird der Weg der Überwindung der Barriere zwischen menschlicher und göttlicher Liebe und damit zwischen irdischem und göttlichem Sex meist unfreiwillig begonnen, denn die flächendeckende Lebenserfahrung zeigt, dass immer erst Lebenskrisen dazu führen, dass die radikale Wende aus der Horizontalen in die Vertikale, also der Rückkehr, der Wiederaufstieg des Verlorenen Sohnes erfolgt. Auch bei denjenigen Paaren, die diesen Kurswechsel gestartet haben, reicht es oft noch nicht ganz aus und bedarf der nächsten karmischen Stufe.
Was die sexuelle Vereinigung betrifft, so ist es in der physikalischen Welt nicht möglich, dass sich zwei Körper sich auf ein und demselben Ort befinden können. Natürlich unternehmen alle Paare zumindest unbewusst die Schritte in diese Richtung, die zunehmend enger werden: Erst gibt es die gegenseitige Annäherung über Augen, Stimme und das Bauchgefühl, dann Berührung über Händchenhalten, Umarmung und Küssen. Diese Verbindungsaufnahme am Körper kann dann nur noch über die im Körper gesteigert werden. Diese auf der materiellen Stufe größtmögliche Vereinigung zweier Individuen über den Geschlechtsverkehr enthält außerdem im Orgasmus den einzigen Moment geistigen Erlebens, also außerhalb von Gut und Böse – auch wenn er nur individuell erlebbar bleibt.
Denn eine Vervollständigung von Einheit ist nur auf der geistigen Stufe möglich. Das fängt an zu funktionieren, wenn erst mal einer der Partner während der sexuellen Begegnung sein Bewusstsein auf die eigene geistige Identität (Ebenbildlichkeit) richtet und dann dazu auf diejenige des Gegenübers. Er überwindet das irdische Sehen einer Person auf eine Person: „Gott sieht die Person nicht an.“ (Rö. 2,11). Denn jetzt handelt es sich zwar um materiellen Sex, aber mit spirituellem Bewusstsein. Diese Vereinigung der Wesenheiten erkennt man am teilweisen Aussetzen vom Fühlen. Diese „sexuelle Agape“ bedeutet den phasenweisen Verlust der Lust und ist ein wichtiges Kennzeichen des spirituellen Aufstiegs. Dieser Aufstieg aus dem materiellen Bewusstsein ins geistige führt zunehmend zur Befreiung vom irdischen Leid – die Parallelen zwischen Buddhas Achtfachem Pfad und der Bergpredigt, zwischen der Sure 2 des Koran, etwa 150 ff. und dem Vers 13 im Tao Te King oder zwischen den Zehn Geboten und der Bhagavad Gita (u. a. V, 25) sind unübersehbar.
Die meisten Menschen erleben das Scheitern ihrer rein menschlichen Liebe, und zwar sowohl an sich als auch an den anderen. Sie reagieren aber auf der Suche nach einem Ausweg nur mit der Flucht von einem materiellen Zustand in einen anderen (siehe zum Beispiel das filmische Meisterwerk „Zeiten des Aufruhrs“: Revolutionary Road), obwohl der geistige Weg naheliegend wäre, weil alle Weisheitstexte aller Religionen ihn zeigen. Auch die alltägliche Erfahrung des Orgasmus legt eigentlich das Suchen nach mehr nahe, denn die orgiastische Glückseligkeit, die christlich formuliert das „Reich Gottes“ zeigt (buddhistisch: Nirwana), dauert mit ihrem umfassenden Frieden eben nur diesen winzigen Moment.
Bei der Frage „Willst du geben oder haben?“ gewinnt in der üblichen sexuellen Praxis immer das Haben. Deshalb ist unsere Umwelt so überfüllt von sexualisierten Inhalten wie Werbung, Filmen, zotigen Witzen, Aneinanderreihung von One-Night-Stands, von abnormer werdender Pornografie usw. Insofern ist die Liebe des Ego zu sich selbst die effektive Realisierung von Anti-Einheit, die die Ursache restlos aller Leiden auf unserem Planeten ist. Sie kann aber durch die Ergänzung mit der wahren – und vor allem sexuellen – Liebe auf der geistigen Stufe überwunden werden. Dann zieht Agape (siehe Kap. 17) ins menschliche Bewusstsein ein und befindet sich auf dem Weg zur Einheit von Gott und Mensch, wie es in unübertreffbarer Deutlichkeit das besagte Gleichnis vom Verlorenen Sohn zeigt.
Deutlich sichtbar scheitert die Liebe unter den Menschen regelmäßig und meist krachend, deshalb auch die sexuelle. Schon der Weg von der Erotik zu Philia, der von der kompletten Selbstbezogenheit zur immerhin gemeinsamen endet im Regelfall in Zerbröselung; die ursprüngliche zwischenmenschliche Anziehungskraft zerfällt und ihr sexueller Aspekt verelendet. Dann ist es kein Wunder, dass die nächsthöhere Stufe der menschlichen Entwicklungsmöglichkeit zu Agape schon überhaupt nicht in Betracht kommt.
Deshalb sind die Leiden der Menschen unter diesen Erscheinungsformen unendlich. Natürlich versuchen sie, sich ihnen zu entziehen oder sie erbittert zu bekämpfen. Aber sie kommen nicht einmal im Traum auf die Idee, Sinn und Zweck dieses flächendeckenden Leidens im Geschlechterkrieg zu hinterfragen (siehe Kapitel 13). Natürlich gibt es genügend Beispiele dafür, dass etwa ein Mann nach seiner dritten Scheidung zu der Einsicht gelangt, dass er wohl dies oder jenes für seine nächste Beziehung zu unterlassen hätte; vermutlich ist die Zahl der Uneinsichtigkeiten höher. In jedem Fall aber kennen zwar alle Menschen diese Dramen, aber nicht die geringste grundsätzliche Konsequenz ziehen sie aus diesen Problemen, womit der Weg zur nachhaltigen Befreiung aus dem Leid natürlich ausgeschlossen wird.
Der Übergang auf die höhere Leiterstufe aus dem tierischen Eros und dann aus dem rein menschlichen selbstbezogenen Befriedigungstrieb heraus und hinauf auf die höhere Stufe der noch erweiterten und nun göttlichen Hinwendung wäre die Anwendung der Goldenen Regel, also unterschiedslos und hindurchblickend auf das „Seelenfünklein“, wie Meister Eckart den menschlichen Wesenskern benennt.
Aber niemand stellt die Frage, wozu es erstens überhaupt diese zutiefst leidvollen Erscheinungsformen des menschlichen Lebens gibt und wo zweitens die Lösung ist. Das Leid wird gewissermaßen als naturgegeben aufgefasst, obwohl ausnahmslos jede Weisheitslehre die Menschen dazu bewegen will, den Ausweg aus diesem Leid einzuschlagen – und ihn darüber hinaus auch noch mehr oder weniger detailliert beschreibt. Während Jesus zum Beispiel in der Bergpredigt fast alle maßgeblichen Bedingungen aufzählt, besteht Buddhas gesamte Lehre sogar nur aus seinem großen Ziel, die Leidfreiheit zu erreichen.
Insofern ist die Liebe des Ego zu sich selbst der sicherste Weg zur Verhinderung jeder Lösung. Sie ist die Ursache restlos aller Leiden auf unserem Planeten ist. Sie kann aber durch wahre – darunter auch die sexuelle – Liebe auf der geistigen Stufe überwunden werden. Dabei macht auch der Buddha sehr klar, dass nur die bewusst eingeübten Verluste an Egozentrik zu dieser zunehmenden Befreiung vom Leiden führen.
Auch das gesamte Evangelium zeigt nichts anderes als das Überwinden der Eigenschaften, die dem Ego dienen. Das gilt ebenso für die Sexualität:
1.) Ihre erste spirituelle Stufe ist die Aufopferung des Habenwollens, des Ego. Es geht darum, die eigene egoistische Triebbefriedigung zurückzufahren und das Bewusstsein für erst mal das materielle Wohl des Sexualpartners aufzubringen.
Es sind im Besonderen viele Frauen, die das längst können, aber da diese Richtung des Energieaufwands auf der materiellen Stufe verbleibt, hat diese Qualität ihre Grenzen von Kraft und Zeit.
2.) Deshalb geht es zugleich um den zweiten Punkt: Zu der Bereitschaft des Opferns des eigenen Ego-Wohls, das im Gegenteil zu ungeahnter Fülle führt (siehe Kapitel 12), kommt die Fähigkeit der geistigen Sicht (siehe Kapitel 6), also den Blick durch die Oberfläche der Person (Materie) hindurch auf den göttlichen Kern (Geist), auf die Geistseele (Kap. 1).
Ausdrucksstark bewirkt die Schöne das Hervortreten des Eigentlichen des Menschen, der Hand im Handschuh. Zudem werden die beiden zentralen Teile des Menschen gezeigt, einmal sein Ego als Person mit dem tierischen Merkmal des Überlebensinstinktes und zum anderen sein geistiger Wesensanteil als „Prinz“, als innere Stimme, als „Vater in mir“, wie Jesus das sagt. Diese Geistseele ist der einzige prinzipielle Unterschied des Menschen zum Tier.
Es gab natürlich keinerlei irdische Einheit zwischen dem Gekreuzigten und seinen Folterknechten ebenso wenig wie zwischen der Schönen und dem Ungeheuer, aber sehr wohl auf der geistigen Ebene, also zwischen ihren Geistseelen hinter der Oberfläche der Personen. Die Schöne hat die innere Verbindung der Finger der Hand erkannt, deren gemeinsame Substanz:
„Zähle hundert Äpfel oder Quitten: Sie bleiben nicht hundert, sondern werden eins, wenn du sie zu Sirup [veredelte Stufe] machst. Die Essenz kennt keine Teilung.“
(Rumi: Das Mesnevi, Vers 685 f.)
Die Knebelung des tierischen Ego-Verhaltensprogramms ist das zentrale Thema des Evangeliums, es ist das Thema der Ego-Hingabe. Das gilt mehr oder weniger für alle Weisheitsschriften: „Das Opfer ist des All’s Gesetz.“ (Bhagavad Gita III, 15) Mit dieser Opferung (siehe Jesus) ist gemeint, den tierischen Instinkt der Selbsterhaltung Schritt für Schritt aufzugeben, und zwar in Richtung „Dein Wille geschehe“ zugunsten der Alle-Erhaltung. Aber die Menschen leben grundsätzlich und umfassend nach dem entgegengesetzten Prinzip „Mein Wille geschehe!“ Es geht aber darum, diese Überlebenssoftware der Egozentrik auf ihr Mindestmaß zu reduzieren – soweit es noch gesundheitlich, beruflich, familiär usw. noch erforderlich ist – und alle intellektuellen und intuitiven Kräfte auf die Erhaltung aller Menschen zu richten.
Für die Menschen ist der Inhalt der Formel „Dein Wille geschehe“ in der Praxis ein Fremdwort, weil, auch wenn sie die Bergpredigt kennen, sie unbewusst und in fast jedem Fall dem Prinzip folgen: Mein Wille geschehe. Deshalb kommen nur wenige auf die Idee, „ihr Wohl in dem der anderen suchen.“ Prompt wären alles Böse und alle Leiden im menschlichen Leben beendet. Deshalb gibt es die Weisheitsschriften aller Religionen, deren Lehren nichts anderes als genau diese Umkehrung in Richtung Feindesliebe anmahnen. Zwar wäre es derzeit utopisch, diese kollektiv zu erwarten, aber individuell ist das sehr wohl realistisch. Wie schwer das aber ist, weil das Ego in uns so tief verankert ist, lässt sich unter anderem am desaströsen Sex drastisch ablesen.
Die geistig (!) bewusste Vereinigung mit dem geliebten Partner ist Wachstum und Hinführung nach „oben“ zur Einheit auf der geistigen Ebene (amor ascendens). Konkret formuliert das der islamische Sufi-Mystiker Ibn Arabi:
„Wenn der Mann im Weibe Gott erschaut, dann … erschaut er ihn in seinem eigenen Selbst … und aus seinem Ich heraus, denn niemals kann man Gott losgelöst von sinnlicher Materie erschauen. … Die Anschauung Gottes in den Frauen ist die wirksamste und vollkommenste …, [denn] die innere Wesenheit ist Gott.“ (Die Weisheit der Propheten II. Kapitel: Mohammed). Dasselbe meint Lao Tse, wenn er davon spricht, „Bejahe Tao in deinem Nächsten“; (Tao Te King II, 54).

Concept of spirituality, meditation, energy, friendship, love. istockphoto-492496430
Sex enthält wie auch in allen anderen Bereichen des Lebens und der Liebe immer die Entscheidungssituation zwischen selbstisch-menschlicher (oberflächlicher) oder eben spiritueller hindurchblickender und aufopfernder Ausrichtung auf Agape. Die erste dient der vorrangig eigenen materiellen Befriedigung, wohingegen die wahre (siehe Kapitel 17) Liebe die egozentrische Selbsterhaltung auf das Notwendige reduziert und im Wohl der anderen ihre tatsächliche Erfüllung findet. Das geht zum Teil auf Kosten der körperlichen Lust, wobei aber die Größe der Anteile bewusst verändert werden kann.
Was das spirituelle Leben betrifft, so gibt es nichts zum Nulltarif. Die generelle Befreiung vom Leid muss teuer bezahlt werden. Wenn Goethe in der Schlussszene von Faust II (Bergschluchten) den Chor der Engel vortragen lässt: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“, dann liegt die Betonung sowohl auf „immer“ als auch auf „streben“ und auch noch auf „Bemühen.“
Dieses Streben besteht aus zwei Teilen.
(A.) Es ist einerseits das Aufgeben der Selbsterhaltung in Form der Egozentrik. Diese ist beim Sex ja das Hauptproblem. Hierbei überrascht es nicht, dass sich das mehr auf den Mann bezieht.
(B.) Zweitens geht es darum, während der sexuellen Begegnung „Tao [die Geistseele] in deinem Nächsten zu bejahen.“ Man ergänzt also die Triebdimension (Eros) mit der liebevollen irdischen Liebe (Philia) um die der geistigen Agape. Wer dann beim Sex zumindest ansatzweise hinter die Oberfläche der materiellen Erscheinung, also der Person, schauen kann, sollte sich klarmachen, dass es aber erst mal darum geht, bei sich selber anzufangen.
Der Haken beim spirituellen Sex ist, dass (A.) ohne (B.) nicht funktioniert: Das Opfern des Ego-Verhaltens lässt sich nicht so einfach abschalten wie vielleicht eine Lampe. Das ist anstrengend, ist mit Rückschlägen verbunden und dauert lange, bis es stabil wird. Ein Erfolg wäre schon, zumindest einmal für einen Moment dieses Bewusstseinselement in den Liebesakt einzubringen – im Idealfall zu Beginn („Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles zufallen.“ Mt. 6,33) Dieses geistige Bemühen ist außerordentlich anspruchsvoll, wird aber reich belohnt, denn selbstverständlich bedeutet es dann zum ersten Mal nachhaltig erfüllte Sexualität.
Durch das Hinzukommen der geistigen Bewusstseinsstufe in der sexuellen Begegnung wird die Egozentrik schwer geschädigt. Die Selbsterhaltung kommt eben mit dem Kurswechsel zum Geben auf Kosten des Habenwollens nicht zurecht. Spirituellen Sex ohne Anteile der Opferung von Eigennützigkeit gibt es nicht. Wer diese aber beim Sex hingibt (amor descendens) und durch die Oberfläche der Person auf deren Geistseele hindurch blickt – was in der Meditation eingeübt wird – setzt auch Karma in Gang, diesmal aber den positiven Bumerang: „Was ihr sät, werdet ihr ernten!“ In Bezug auf das Sexthema bedeutet es, dass dem, der gibt, gegeben wird. Insofern geht spiritueller Sex über die Verringerung der sexuellen Selbstbezogenheit (des Mannes) hinaus und wendet sich nach innen zur eigenen geistigen Führung, zur Intuition und weiterhin zu der des Partners/der Partnerin.
Diese Verlagerung hat aber nichts mit platonischer, also sexuell enthaltsamer Liebe zu tun. Zwar gibt es spirituellen Sex ohne Opfer von durchgängiger körperlicher Lust nicht, weil die geistige Energie der Lust Anteile wegnimmt, das berührt aber nicht die Intensität. Wer diesen geistig induzierten Sex ausübt, bemerkt überrascht, dass sein Liebesbedürfnis durch seinen früheren konsumptiven Sex niemals ganz gestillt werden konnte. Und er erfährt, dass diese Liebe aus der Egozentrik herausführt und dass das „höchste Glück der Erdenkinder“ (Goethe: Westöstlicher Diwan) sich keineswegs auf die eigene Persönlichkeit bezieht, sondern aus der Hingabe an den anderen besteht. Dazu führt Goethe weiterhin entsprechend aus: „alles Erdenglück vereinet / find ich in Suleika nur“ (Suleika/Hatem).
Der Wechsel zwischen sexuellem Genuss und spiritueller Hingabe lässt sich in verschiedenen Bereichen einüben, so zum Beispiel beim Essen.
Wer vor einem Bissen (am besten vor dem ersten) dankt und sich auf die geistige Versorgung durch den „Vater in mir“ konzentriert, der stellt fest, dass der sinnlich aromatische Genuss über den Geschmack deutlich reduziert wird. Aber zugleich durchströmt einen dann Freude, wenn auch verhalten. Sie hängt von der Hingabe an die eigene Intuition ab („Man sieht nur mit dem Herzen gut!“) und auch von der Kommunikation mit der inneren Stimme, dem Bauchgefühl, der Intuition. Sie hängt auch von der damit verbundenen Fähigkeit ab, das Prinzip „Dein Wille geschehe!“ beachten und leben zu können. Denn das wichtigste Gebot der Bibel, „Gott zu lieben von ganzem Herzen.“ (Mt. 22, 37) ist Grundsatz aller Religionen, wobei der Begriff „lieben“ wie gesagt missverständlich ist; denn es geht wie gesagt ganz und gar nicht um die Ebene der Gefühle: Es geht um das Erkennen Gottes als innerlichem „Seelenfunken“ (Meister Eckhart); biblisch formuliert als Gottessohn im eigenen Innern.
Beim Sex kann das so gehen, dass man sich während der Liebkosungen bei den beiden göttlichen Seelen für die Einung bedankt. Es bedeutet, die Fundamente von Trieb-Eros und sympathievoller Philia mit dem entscheidenden Element der hindurchblickenden Agape zu ergänzen, also den Aufstieg der Liebe empor zur geistigen Stufe zu vollenden; letztere besteht aus Erkennen und Verstehen. Das körperliche Erleben der nun mit Agape vervollständigten Liebe ist dann teilweise entpersönlichte Vervollständigung der Liebe, ihr Wesen: „Gott ist es, der die Liebe ist“ (1. Joh. 4,16).
Die geistig (!) bewusste Vereinigung mit dem geliebten Partner ist Wachstum und Hinführung nach „oben“ zur Einheit auf der geistigen Ebene (amor ascendens). Konkret formuliert das Ibn Arabi, indem er davon spricht, dass es wie gesagt darum geht, „in der Frau … Gott zu erkennen.“ Dasselbe meint Lao Tse, wenn er davon spricht, „Bejahe Tao in deinem Nächsten“; (Tao Te King II, 54).
Geistiges Einheitsbewusstsein in der Zweierbeziehung breitet sich aus und geht erst auf die Umgebung und dann auf Fremde über. Wenn ich dann im Bewusstsein keine Feinde mehr kenne – denn ich erkenne ihre Triebseelensteuerung, der sie ausgeliefert sind -, habe ich um mich herum auch keine mehr, kann keine mehr haben. Denn diese verlieren ihre Gegnerschaft oder – häufiger – verschwinden aus dem persönlichen Gesichtsfeld.
Es ist direkt möglich, dies sofort durch den folgenden Zweierschritt im Alltagsleben ausprobieren: Man macht sich klar, dass der böseste Nachbar oder der übelste Chef am gleichen geistigen Blutstrom hängt wie ich selbst und dieser Blutstrom nichts anderes ist als die göttliche Lebensenergie. Die Probe aufs Exempel, also die Praxis, entscheidet immer über das, was Wahrheit ist.