Ein klassisches Beispiel für den direkten Draht zur inneren Führung ist Johanna von Orléans (Jeanne d’Arc), die als Achtzehnjährige mit ihren für den menschlichen Verstand nicht nachvollziehbaren Entschlüssen, Vorhersagen und vor allem mit ihrer militärisch erfolgreichen Heerführung ihre Bestimmung demonstrierte, und dies bewusst, gehorsam und duldend, d. h. eben nicht um ihre Selbsterhaltung kämpfend. Jeanne hat niemals zugelassen, dass ihre Heldentaten ihr „selbst“, ihrer Person, zugeschrieben wurden, sondern immer klargestellt, dass sie Bote ihrer inneren Führung war. Um es klar zu unterscheiden: Die Stimme, die Johanna hörte, kam von „oben“, der Seele, während psychisch Kranke, die ebenfalls Stimmen hören, welche sie zu Untaten anstiften wollen, von anderswoher kommen

Sensitive Künstler haben das Bewusstsein der Führung von innen: Es ist das, was Johanna ihre „Stimme“ nannte:
„Komponieren ist ein Vorgang, der nicht so leicht zu erklären ist. Wenn die Inspiration eintritt, ist sie von solcher Scharfsinnigkeit …, dass sie sich beinahe jeder genaueren Bestimmung entzieht. Wenn ich mich in inspirierter Stimmung befinde, habe ich bestimmte Zwangsvisionen unter dem Einfluss einer höheren Macht. …  Ich weiß, dass die Fähigkeit, solche Ideen in mein Bewusstsein aufzunehmen, ein göttliches Geschenk ist. …Ich war mir … der Hilfe einer anderen als einer irdischen Kraft bewusst.
(Johann Strauss Sohn)

Jesus verkündete eine große Wahrheit: „Nicht ich, sondern der Vater, der in mir wohnt, der tut die Werke“, als er dies sagte, und wenn ich mich bei meiner Arbeit in meiner größten Schaffenskraft fühle, spüre ich, dass eine höhere Macht durch mich wirkt.“
(Ludwig van Beethoven)

„Wie Beethoven zu erkennen, dass wir eins sind mit dem Schöpfer, ist ein wunderbares, ehrfurchtgebietendes Erlebnis. Sehr wenige Menschen gelangen zu dieser Erkenntnis. … Über dies alles denke ich immer nach, bevor ich zu komponieren anfange. … Ich spüre unmittelbar danach Schwingungen, die mich ganz durchdringen. Sie sind der Geist, der die inneren Seelenkräfte erleuchtet, und in diesem Zustand der Verzückung sehe ich klar, was bei meiner üblichen Gemütslage dunkel ist; dann fühle ich mich fähig, mich wie Beethoven von oben inspirieren zu lassen. … Diese Schwingungen nehmen die Formen bestimmter geistiger Bilder an, … sofort strömen die Ideen auf mich ein, … Takt für Takt wird mir das geistige Werk offenbart, … Ich muss mich im Zustand der Halbtrance befinden, um solche Ergebnisse zu erzielen – ein Zustand, in welchem das bewusste Denken vorübergehend herrenlos ist und das Unterbewusstsein herrscht, denn durch dieses als einem Teil der Allmacht, geschieht die Inspiration. … So komponierte Mozart. Man fragte ihn einmal nach dem Vorgang beim Komponieren, und er erwiderte: Es geht bei mir zu wie in einem …Traum.“
(Johannes Brahms)

„Aus meiner Erfahrung beim Komponieren weiß ich, dass mich ein übernatürlicher Einfluss befähigt, göttliche Wahrheiten zu empfangen und sie dem Publikum durch meine Opern mitzuteilen. … Das Geheimnis aller schöpferischen Genies liegt darin, dass sie die Kraft besitzen, sich die Schönheit, den Reichtum, die Größe und die Erhabenheit ihrer Seele als Teile der Allmacht zu eigen zu machen und diesen Reichtum anderen mitzuteilen.“
 (Giacomo Puccini)

„Ich habe … beobachtet, dass man gewisse Gesetze beachten muss, von denen die zwei wichtigsten Einsamkeit und Konzentration heißen. … Ein Komponist muss in der Stille auf die Anweisungen einer Kraft warten, die seinem Verstand überlegen ist.“ 
(Max Bruch)
(Alle, außerdem noch Wagner und andere bei: Abell, Arthur M.: Gespräche mit berühmten Komponisten. 1962)

Diese Berichte zeigen eine nur einseitige Kommunikation von der geistigen Ebene, also von der inneren Stimme aus zum äußeren Menschen. Das ist für Künstler vielleicht der Regelfall. Die Mystiker, also Menschen mit der direkten Interaktion verfügen hingegen über den vollständigen Dialog, d. h. sie kommunizieren beiderseitig in Frage und Antwort mit ihrer inneren Führung. Dabei läuft dies häufig so ab, dass an die Seele ausführliche Fragen gerichtet werden können, wohingegen es von von ihr entweder ausführliche Satz- oder Bildimpulse gibt oder die Antworten nur entweder Ja lauten oder Schweigen kommt, denn von der göttlichen Seite aus gibt es kein Nein.

Das englische Wort ‚Tuition‘ bedeutet ‚Unterweisung‘; das deutsche Wort ‚In-tuition‘ zeigt den Charakter des Sachverhalts an, also die Unterweisung durch die eigene innere Kraft. Alle kreativen Geister wissen, dass sie auf diese „Anweisungen“ angewiesen sind und auf sie warten müssen.  Die Alltagsmenschen sind allerdings im Glauben, dass ihr eigener Verstand die Quelle der Inspiration sei.

Sogar einige Naturwissenschaftler machten sich ihren intuitiven Zustrom bewusst:„Ich versank in Träumereien. Da gaukelten vor meinen Augen die Atome. Ich hatte sie immer in Bewegung gesehen, jene kleinen Wesen, aber es war mir nie gelungen, die Art ihrer Bewegung zu erlauschen. Heute sah ich, wie vielfach zwei kleinere sich zu Pärchen zusammenfügten; wie größere zwei kleine umfassten, noch größere drei und selbst vier der kleinen festhielten, und wie sich alles in wirbelndem Reigen drehte. Ich sah, wie größere eine Reihe bildeten und nur an den Enden der Kette noch kleinere mitschleppten.“
(Chemiker August Kekulé über „seine“ Erfindung des Benzolringes: Wikipedia)

Ähnliches wird überliefert von Thomas Alva Edisons „Inspiration“ (Glühbirne), von Niels Bohr (Atommodell) oder von Goethe. Aber auch aktuell äußern sich prominente Kulturschaffende in diesem Sinne: Die Autorin der Harry Potter-Bände sagt über ihre Eingebungen:
„Wenn ich ein Buch plane, habe ich oft mehrere Ideen gleichzeitig im Kopf. Ich versuche dann immer die besten zu erwischen, wenn sie vorbeifliegen…“
(DER SPIEGEL 22/2018)

Prominente Gegenwartsautoren werden über ihre Einfälle gefragt:
„Ich lasse mich von ihnen finden. Ideen brauchen Platz … Klappt am besten morgens. Da stehe ich mit leerem Schädel unter der Dusche und lasse sie reintropfen.“
(STERN 19.04.2018)

„Jeder, der halbwegs schöpferisch arbeitet, macht ja die Erfahrung, dass da etwas wirkt, das willensstärker ist als er selbst. … Die wirklich guten Textstellen kann man sich nicht ausdenken, die kommen, die sind plötzlich da. … Meine besten Texte waren immer noch weiser als ich.“
(SPIEGEL 18/2018)

Keith Richard hat die Melodie von „I can’t get no satisfaction“ beim Hochfahren aus dem Schlaf in einer Mainacht des Jahres 1965 empfangen. Dave Steward (Eurythmics) berichtet, dass „seine“ Melodie zu „Sweet Dreams“ „wie aus dem Nichts“ zu ihm kam.

Woher wissen diese Genies, dass ihre Eingebungen nicht aus ihrem eigenen Verstand kommen, sondern von tief innen? Im Grunde kennt das jeder. Es gibt Erfahrungen in unserem Leben, bei denen man sofort merkt, dass sie nie und nimmer Produkte unseres Verstandes gewesen sein können, weil diese Produkte völlig außerhalb unseres Speicherbestandes und seiner uns bekannten Problemlösungskompetenz liegen. Das hat auch einer der weltweit größten Erfinder u. a. des Fischer-Dübels Artur Fischer deutlich gesehen, als er in einem Interview auf „seine“ über 1000 Patentanmeldungen angesprochen wurde und antwortete, dass das Erfinden von der Seele komme:
„Man soll das machen, was einem gerade einfällt und was man braucht. Das Erfinden geht durch die Seele. … Wir sind ein Teil der Schöpfung, deswegen können wir mit ihr umgehen und … schöpferisch sein. Aus.“

Der Universalgelehrte und Philosoph Leibniz sagte über sich selbst:
„Beim Erwachen hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, um sie niederzuschreiben.“

Einstein hat wie gesagt die Relativitätstheorie nicht entwickelt, sie wurde ihm gegeben. Er hat diese Idee empfangen. Sein Anteil war dann, auf Grund seines empfangenen Talents und seiner erworbenen Fähigkeiten durch seine Ausbildung in theoretischer Physik diese Idee, dieses Konzept umzusetzen, zu verwirklichen.

Daraus geht hervor, dass Menschen keine Eigenschaften haben. Es sind die Steuerungsprogramme in ihnen, die hinter den Verhaltensweisen stecken und für die der Mensch erst einmal nicht verantwortlich ist. Nur deshalb kann der Nazarener zur Ehebrecherin sagen, dass er ihr keine Vorwürfe macht und sie nicht kritisiert: „So
verdamme ich dich … nicht!“

Er weiß, dass nicht sie als Person verantwortlich für ihr Verhalten ist, sondern ihre Triebsteuerung. Und das sind universelle Verhaltenssteuerungen, also Programme, die jeder hat. Der russische Schriftsteller Dostojewskij hat für den Menschen den treffenden Ausdruck „unschuldig schuldig“ geprägt (Der Jüngling II,4). Er erklärt aber nicht den Grund für das Schuldigsein, dass nämlich der Mensch aus karmischen Gründen überhaupt hier auf der irdischen Bühne ist und außerdem, dass er keinen Schritt zurück zu „des Vaters Hof“ tun zu will; unschuldig, weil er beim besten Willen nicht weiß, was er tut, weil er weitgehend wehrloses Opfer seiner Instinktsteuerung ist.

Deshalb sind die Verbrecher und überhaupt alle Missetäter nicht essentiell böse, sondern sie tun „nur“ Böses. Denn „… sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie wissen nicht, dass sie nur das Megaphon sind. Das wird besonders deutlich in den zahlreichen Berichten über Triebtäter, Pädophile und Serienmörder, deren Schuld in ihrer Person gesehen wird. Als ob sie sich im betreffenden Moment bewusst und unbeeinflusst für oder gegen die Tat hätten entscheiden können. Jeder, der einmal im Leben Berührung mit einem Suchtverhalten hatte, weiß erst recht, wie stark die entsprechenden Triebe unser Verhalten subtil, aber kompromisslos beherrschen. Dies zeigt eindrücklich der Film „Der freie Wille.“


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